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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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gespielt. Vielleicht aus Freundschaft, mag sein, aus Feigheit. Veronika war es egal.
    Hier im Zug sitzt sie jetzt und schaut auf die Landschaft, durch die sich Hanns jeden Tag bewegt. Sieht, wie dünn besiedelt und grün sie ist. Richtige Landschaft, denkt sie, nicht nur Gegend. Vielleicht gefällt es ihm ja hier. Sie holt die Zeitung aus der Tasche, die sie sich gekauft hat, um wenigstens einmal zu lesen, was ihr Mann so macht. Am Bahnhof war das Blatt zu haben. Seltsamerweise.
    Der Schaffner kommt und sagt, nach Frankenburg also, als hätte das eine besondere Bedeutung, dorthin zu fahren. Hübsches Städtchen, sagt er und lächelt. Veronika schaut ihn sich an, den Uniformierten, und sieht, dass er blutjung ist. Könnte mein Sohn sein, denkt sie. Mein toter Sohn, nicht der lebende.
    Ich komme von dort, sagt der Schaffner und lächelt noch breiter.
    Dann muss es ein hübsches Städtchen sein, sagt Veronika und zaubert dem Jungen ein bisschen Röte auf die |187| Wangen. Der muss sich noch nicht mal rasieren. Sie möchte aufstehen, ihn nehmen, den Schaffner, und ihm sagen: Jetzt wird alles gut, ich hab dich gefunden. Ich kann mich um dich kümmern.
    Der Schaffner geht weiter, Veronika fängt bei den Anzeigenseiten an. Junge, attraktive Erscheinung, 40 Jahre, 170 groß, niveauvoll, mit hübschen Kurven, selbständig tätig, sucht starke männliche Persönlichkeit mit Charme und Herz, finanziell unabhängig, mit Interesse und Wunsch, miteinander ein Haus zu schaffen und ein kuscheliges Nest und noch eine Menge Leben gemeinsam zu genießen.
    Veronika hält beim Lesen den Atem an. So viele Wünsche und so wenig Leben. Hübsche Kurven, wie das wohl aussehen mag. Noch weniger kann sie sich unter einem kuscheligen Nest vorstellen.
    Lars, Leon und Lukas, dreifacher Nachwuchs in Dickesbach. So etwas wird doch Hanns nicht schreiben. Solche Meldungen. Kaffee und Kultur in der Kurklinik. Außer Spesen nichts gewesen. Christian Bommel freut sich auf die Sommerferien. Mädchen wieder ungeschlagen. Umgestürzter Baum blockiert Verkehr. 200 Forellen im Räucherofen. Radtour für September geplant. Seniorentanz in Buchbach.
    Veronika schaut auf die leere Landschaft, die mehr als Gegend ist, und stellt sich vor, wie ihr Hanns mit seiner ewigen Wut im Bauch zum Seniorentanz nach Buchbach fährt.
    Am morgigen Samstag werden die Senioren der Gemeinde Edlau ins Dorfgemeinschaftshaus zum Pellkartoffelessen eingeladen. Der Nachmittag beginnt um 15 Uhr.
    Der Zug hält in einem Kaff, von dem Veronika noch nie gehört hat. Der Nachmittag beginnt um 15 Uhr, denkt sie, was ist denn das für ein Satz? Sie wechselt wieder zu den Anzeigen.
    |188| Wir sind unendlich traurig, weil wir Abschied nehmen müssen von unserer über alles geliebten Mumsi, Omi, Tochter, Schwester und Lebensgefährtin.
    Noch nicht mal fünfzig, die Frau. Veronika faltet die Zeitung zusammen und schaut aus dem Fenster. Worüber wird sie mit Hanns sprechen? Futtertrog und Kränzchenreiten am Sonntag in Warsow, Marketingkampagne, und Gesanglich waren die Rickelsdorfer mit vollem Elan bei der Sache? Dieses Wochenende, da ist sie sich auf einmal sicher, entscheidet, worüber sie künftig miteinander sprechen werden. Was sie beide tun, womit sie ihr Geld verdienen, kann da schon lange keine Hilfe mehr sein. Dass wir das nicht gemerkt haben. So auf uns zurückgeworfen zu sein. Ohne den Halt irgendeiner sinnvollen Tätigkeit.
    Mein Schatz ist ein Fuhrmann, ein Fuhrmann ist er, bald fährt er auf der Straße, bald hin und bald her, bald knallt er mit der Peitsch, bald klopft er seinen Hut, meinen Augen tuts taugen, meinem Herz gefällts gut.
Veronika singt und schaut auf die Uhr. In achtzehn Minuten ist sie da.
    Ich bin der Herr Böttcher, ich binde das Fass, so fröhlich und flink, als wärs mir ein Spaß, und mach ich gleich auch den Rücken oft krumm, so schlag ich doch lustig mein liebes bum bum.
    Bum Bum, sagt Veronika etwas lauter und stopft die Zeitung in den Müllbehälter. Sie nimmt ihre Tasche und geht auf die Zugtoilette, schminkt sich die Lippen dunkelrot und staunt noch einmal über das strassbesetzte Shirt, das aus ihr eine geile Braut macht. Dann bleibt sie an der Tür stehen, bis der Zug in Frankenburg hält. Auf einem Bahnsteig, der nur zur Hälfte überdacht ist und von dem aus man in die Landschaft gucken kann, wenn der Blick es schafft, sich über eine Fabrikruine zu erheben, die gegenüber dem Bahnhof steht. Schöner roter |189| Backstein, ein zerfallener

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