Lokale Erschuetterung
Schornstein, grasüberwucherte Flächen, auf denen Kamille und Kornblumen blühen. Wir reiten ein totes Pferd, denkt Veronika. Vor kurzem hat das jemand zu ihr gesagt. Da ging es um Vertrieb und sinkende Absatzzahlen.
Wir reiten ein totes Pferd, Frau Grabowski, am besten wäre, die Produktion einzustellen und sich ein Grab zu schaufeln.
Wer war der Typ, der ihr so drastisch das Ende einer kleinen Ära beschrieben hatte? Es fällt Veronika nicht ein.
Hanns steht auf dem Bahnsteig. Direkt an der Treppe. Steht da mit hängenden Armen und lächelt etwas blöde, wie sie findet. Oder rührend. Als er sie sieht, kommt er mit langsamen Schritten auf sie zu. Alle anderen, die hier in Frankenburg ausgestiegen sind, haben längst den Bahnsteig verlassen. Nur sie beide sind noch hier, müßiggängerisch geradezu, wie sie langsam aufeinanderzulaufen, fünf Uhr nachmittags. Veronika sieht sich ihren Mann an, der acht Wochen ohne sie gelebt hat. Schaut, ob sich Zeichen finden lassen. Zeichen ihrer Abwesenheit und seiner Anwesenheit hier. Ob es ihnen anzumerken ist, dass sie Verlassene sind, Entliebte, Gebeutelte. Aber nichts ist zu sehen. Hanns hat vielleicht einen kleinen Bauch bekommen, sie mag zwei oder drei Kilo verloren haben. Mit dem unnützen Gebärgefäß und allem Drum und Dran. Sonst aber.
Du siehst ja rattenscharf aus, sagt er, als sie sich direkt gegenüberstehen. So läuft man doch als Gattin des Leiters der Lokalredaktion nicht rum. Dann lacht er kurz und hebt sie hoch. Vergräbt sein Gesicht in ihrem Ausschnitt, der es schafft, ihre Titten wie einen Wunderbalkon aussehen zu lassen, und atmet Veronika ein und aus. Er stellt sie wieder auf den Boden, nimmt ihre Tasche, drückt ihr |190| einen Kuss auf den Mund. Ich bin froh. Vroni. Was bin ich froh.
Ihr wird ganz schlecht vor so viel Liebe und Freude. Sie schluckt und schluckt und sagt, ich bin ja auch froh, Hanns. Es waren doch lange Wochen.
Und denkt: Ich lüge. Aber nur ein bisschen. Es ist eine gute Lüge. Denn jetzt, wo ich ihn sehe, merke ich, dass ich ihn vermisst habe.
Vier Minuten später sitzen sie im Auto und fahren in die Stadt, wie Hanns sagt. Zuerst einmal zu mir. Ich koche. Und dann, wenn du Lust hast, es ist ja warm, dann gehen wir noch einen Wein trinken. Irgendwo. Wo immer du willst.
Veronika ist mit allem einverstanden. Kochen, vögeln, Stadt, Wein, andere Reihenfolge. Soll es genauso sein, wie Hanns es möchte. Sie macht einen kleinen Rundgang durch die Wohnung. Schaut sich die neue Ikea-Schlafcouch an, auf der sie heute Nacht mit Hanns liegen wird, setzt sich drauf und reibt mit dem Finger auf einem kleinen Fleck herum, der auf der Sitzfläche zu sehen ist, obwohl das Sofa sonst nagelneu aussieht. An der rechten Wand steht ein metallenes Baumarktregal. Eines für den Keller und das Gartengerät. Es macht sich ganz gut da an der Wand. Ist gefüllt mit ein paar Büchern, Ordnern, einer teuer aussehenden Musikanlage.
Kein Fernseher, ruft Veronika in die Küche, wo Hanns angefangen hat zu kochen.
Unter der Obstkiste.
Sie hebt eine große Holzkiste hoch, die neben dem Regal auf dem Boden steht. Tatsächlich, darunter steht ein Fernseher, so ein kleines Flachbildteil, das aussieht wie ein Computermonitor.
Über dem Schlafsofa hängt ein Plakat von Rammstein und daneben eins von Laibach. Das wird auch immer härter, |191| denkt Veronika und sucht die CD-Sammlung. Die ist noch nicht groß, und die meisten Sachen klingen martialisch, sehen nach lauter, übler Musik aus und bereiten ihr ein unangenehmes Gefühl. Slipknot, Metallica, Knorkator. Diarrhoe, wer ist denn das? Sie geht in die Küche und fragt.
’ne Band von hier, irgendwo in der Nähe. Nur eine Demo-CD. Die wollen groß rauskommen, die Jungs. Hab sie auf einem Konzert gesehen.
Was machen die denn für Musik?
Death Metal heißt das. Die Texte sind übel. Aber das versteht man sowieso kaum.
Veronika geht wieder zurück ins Zimmer und sucht irgendwas zum Auflegen. Was zu Steak und Bohnen und Kartoffeln passt. Fanta 4, na gut. Nicht ganz passend, aber es scheint das Leiseste im Regal zu sein.
Niemand sagt, dass es leicht ist, aber irgendwann reicht es.
Veronika bewegt ein bisschen den Hintern und stellt sich ans Fenster, von dem aus man in ein kleines grünes Hinterland sehen kann.
Die Wohnung ist hübsch, ruft sie über die Schulter und bleibt am Fenster stehen. Hanns kommt und stellt sich hinter sie. Legt seine Hände um ihren Körper, verschränkt sie auf ihrem Bauch. Der ist
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