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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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möglich ist sie schon. Die Geschichte. Ich entscheide mich. In diesen Tagen noch werde ich mich entscheiden. Ob ich wieder verschwinde. Damit du mich ein zweites Mal vergessen kannst.
    |235| Ich.
    Veronika liest den Brief drei Mal. Ein weiteres Mal. Noch einmal. Sie will nicht, dass Ich wieder verschwindet. Was kann sie tun? Kann sie etwas dagegen tun? Ist das nicht überhaupt alles nur eine einzige große Sauerei, die da jemand mit ihr veranstaltet? Sie muss auf Hanns hoffen, bis Mittwoch warten, sich gedulden, die Briefe weglegen, sich um ihre Arbeit kümmern. Morgen hat sie zwei Termine. Die sollten vorbereitet werden. Sie hat noch gar nicht ihr Postfach gecheckt. Ob jemand etwas von ihr will. Etwas Nachvollziehbares, Verständliches, Einfaches. Ein Konzept, einen Text, eine Marketingstrategie. Irgendeinen Scheiß, den sie sofort aus dem Ärmel schüttelt. Mit dem sie nichts verbindet. Veronika schaltet den Computer ein. Wartet mit zappelnden Beinen, bis er hochgefahren ist. Findet vierundsechzig Mails in ihrem Postfach. Schmeißt zweiundsechzig sofort in den Müll. Siebenundfünfzig davon bieten ihr an, Flaggen oder Fahnenmasten zu kaufen. Das geht schon seit Wochen so. Flaggen, Fahnen, Fahnenmasten. Hunderte verschiedene Adressen, immer das gleiche Angebot. In einer Mail steht die Bestätigung eines Termins, den sie am kommenden Tag hat. Eine Sekretärin versichert, dass ihr Chef tatsächlich zur vereinbarten Zeit da sein wird. Die letzte Mail, die Veronika öffnet, ist von Martin. Er hat es auf allen Kanälen versucht. Es pressiert also wirklich, denkt sie und überlegt, ob sie ihn anruft, jetzt gleich. Sofort. Sich mit ihm verabredet. Er wird mit fliegenden Fahnen kommen. Ganz sicher. Sie geht in die Küche und holt sich noch ein Glas Wein. Kramt in allen Schubfächern eines alten Apothekenschranks nach Zigaretten. Es muss eine Packung für den Notfall geben. Sie hat sie selbst gekauft und in einem dieser Fächer versteckt. Für Tage wie heute, Momente wie diesen.
    |236| Nach dem ersten Zug steht der Entschluss. Veronika geht zum Telefon und ruft Martin an. Der ist schon nach dem ersten Klingeln am Apparat. Hat nur auf sie gewartet. Auf niemanden sonst.
    Ich komme, sagt er. Sofort. Soll ich zu dir kommen?
    Ja. Nein warte. Ich. Wir treffen uns. Am Hackeschen Markt. An der Buchhandlung, am Eisladen. Warte.
    Veronika verstummt. Martin rettet sie. Ich bin in einer halben Stunde am Hackeschen Markt vor dem Buchladen, sagt er. Bis gleich. Dann legt er auf.
    Veronika geht ins Bad und muss mit sich von vorn anfangen. Sie ist abgeschminkt, gebadet und eingecremt. Sie trägt einen Bademantel. Sie hat keine Zeit. Es dauert zwanzig Minuten, dann sieht sie aus, wie man aussehen muss, will man hier in die Stadt. Vorzeigbar, hätte ihre Mutter das genannt. Sie packt den Brief in die Tasche, ihr Telefon, zwei Päckchen Taschentücher, eine Sonnenbrille. Es ist dunkel draußen. Aber die Sonnenbrille wird sie brauchen. Falls sie klappern wird und heulen muss. Lippenstift. Sie geht noch einmal zurück in die Wohnung, nachdem sie die Tür schon abgeschlossen hatte. Stellt sich erneut vor den Spiegel und lügt mit einem dunkelroten Konturenstift die pure Lust in ihr Gesicht. Dieser Konturenstift ist so ziemlich das verruchteste an Schminke, was sie hat. Die reinste Verführung, hat Hanns es mal genannt, als sie so geschminkt und konturiert ins Bett gekommen ist. Hat sich auf sie gestürzt, und es war gut. Richtig guter Sex. Das muss vier Jahre her sein, denkt Veronika und guckt sich den Lippenkonturenstift an. Dass dieses Zeug so lange hält, ist ein Wunder. Sie packt den Stift in die Handtasche, und nun kann sie endgültig los. Martin wird schon vor dem Buchladen stehen, da ist sie sich sicher. Er wird dort stehen, und die ersten Zweifel werden bei ihm aufkommen. Ob sie nun wirklich kommt. Ob sie es sich |237| anders überlegt hat. Ob es heute Abend zwischen ihnen knallt.
    Veronika nimmt die Straßenbahn. Sie wäre gern gelaufen, aber so lange kann sie Martin nicht warten lassen. Als sie am Buchladen ankommt, steht er vor dem Schaufenster und raucht eine Zigarette. Raucht Martin, fragt sie sich. Ich habe ihn doch noch nie rauchen sehen.
    Du hast mich bestimmt noch nie rauchen sehen, sagt der Polizist und küsst Veronika auf die Wange. Ich kann auch gar nicht rauchen. Mir ist jetzt schon ganz schlecht.
    Wirf sie weg, sagt Veronika, nimmt ihm die Zigarette aus der Hand, zieht einmal daran und lässt sie fallen. Das wischt die

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