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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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Polizist bleibt liegen. Lässt sie gehen, weil ihm nichts anderes übrigbleibt. Was soll er tun? Er ist ein Bulle, und sie liebt ihn nicht.
    Veronika läuft nach Hause. Zwanzig Minuten Fußweg, wie Martin es gesagt hatte. Sie geht sofort ins Bett, schläft ein und durch. Wacht auf und fühlt sich nicht schlecht. Nicht, dass sie eine Sorge weniger hat, aber sie hat mehr Geduld. Auf einmal kann sie sich vorstellen, es bis Mittwoch auszuhalten. Warten zu können, bis Hanns mit Daniel gesprochen hat. Sie wird ihre Arbeit tun und nichts weiter. So ist es das Beste.

|243| 20. Kapitel
    Hanns fehlt Zeit. Er kann nicht nachdenken. Als er am Montagmorgen in die Redaktion kommt, sagt ihm Irene Paulsen, er müsse sich gleich aufmachen ins Klinikum. Da sei eine Krankenschwester verhaftet worden. Alte Leute soll sie umgebracht haben, aus Mitleid oder Eigennutz. Aber wie auch immer, wenn es stimmt, dann sei dies wohl ein Verbrechen und müsse in die Zeitung. Hanns will nicht. Aber er muss. Das ist was für den Leitenden Redakteur, da kann er keinen Praktikanten hinschicken. Er ruft an. Zuerst bei der Polizei, dann bei der Staatsanwaltschaft, dann im Klinikum. Die Informationen fließen spärlich. Wir werden die Presse unterrichten, heißt es. Voraussichtlich wird es noch eine Pressekonferenz geben.
    Da wird wohl eher jemand an einer Presseerklärung sitzen, mit der wir nachher nichts anfangen können. Hanns sitzt an seinem Schreibtisch und möchte gern hier sitzen bleiben. Er hat sich erst in der vergangenen Woche mit diesem jungen Mann beschäftigen müssen, der Vater und Mutter erschlagen hatte und dabei von seinem Vater selbst verletzt wurde. In Notwehr. Er kann die Geschichten über nette Nachbarn, denen niemand so etwas zugetraut hätte, nicht mehr hören. Sie sind langweilig, sie sind immer gleich, sie sind fürchterlich. Beschissene, verrottete, stinkende, elende Geschichten, die ihn in Rage und Verzweiflung stürzen. Zum Kotzen. Und jetzt eine Krankenschwester, die Gott spielt oder nur eine mitleidige Seele ist. Hanns |244| sitzt auf seinem Stuhl und denkt an das Foto, das er von diesem jungen Mann gemacht hat, diesem beschissenen Elternmörder. Da trug der noch das T-Shirt mit der Aufschrift Kreisliga, wir kommen!. Sah aus wie ein dicklicher netter Typ, der mit siebenundzwanzig noch bei den Eltern wohnt und vielleicht hin und wieder eines der Mädels besucht, die in ihren rot beleuchteten Wohnwagen an der Fernverkehrsstraße auf Freier warten.
    Nein, Hanns will definitiv nicht ins Krankenhaus und Erkundigungen über eine verrückte Schwester einholen. Er will den Text über den Weg der Frankenburger Justiz vom Postkutschen- ins Elektronikzeitalter schreiben. Und danach gleich die Meldung über den Feuermelder in der Mülltonne, der so laute Geräusche von sich gab, dass die Nachbarn die Polizei riefen, anstatt selbst in die Mülltonne zu gucken und die Batterien aus dem Teil zu entfernen.
    O Gott, Hanns stützt den Kopf in beide Hände. Er will über herrenlose Fahrräder schreiben und nicht über mordende Schwestern. Sitzen bleiben. Einfach sitzen bleiben, die violette Verzweiflung kommen und sein Hirn überfluten lassen. So lange, bis die ganze Redaktionsstube und selbst Irene Paulsen lila aussehen wie ein gottverdammter katholischer Tempel. Er will traurig sein, dunkelviolett traurig und nichts tun müssen.
    Irene Paulsen sieht ihn irritiert an.
    Du musst hinfahren, sagt sie. Sprich mit den Leuten im Klinikum. Irgendjemand wird dir schon etwas erzählen.
    Sie hat recht. Hanns steht auf. Kramt nach seinem Aufnahmegerät, nimmt die Autoschlüssel und fährt los.
    Im Klinikum ist alles wie immer. Nichts deutet auf irgendwelche Verwerfungen hin. An der zentralen Aufnahme steht eine lange Schlange Wartender. Sie alle wollen ein Bett, einen zuständigen Arzt und möglichst schnell |245| wieder hier raus. Hanns kann sie verstehen. Er hat nur einmal in seinem Leben im Krankenhaus gelegen, wegen des Verdachts auf Darmverschluss oder Blinddarm oder irgendetwas anderem, das ihm Leibschmerzen bereitete, die nicht mehr auszuhalten waren. Der Verdacht hatte sich am Ende im wahrsten Sinne des Wortes in Luft aufgelöst. Aber die zwei Tage, bis das klar war, dass er dort im Krankenhaus nichts zu suchen oder besser nichts verloren hatte, waren schlimm. Schon nach vierundzwanzig Stunden hatte er das Gefühl zu sterben. Es schien, als entwiche das Leben mit jedem Furz, den er ins Laken drückte, weiter aus seinem Körper. Machte sich auf

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