Lokale Erschuetterung
Verlegenheit weg.
Dort hinter der Brücke gibt es etwas Kleines. Ein Italiener, glaub ich. Schröder soll dort mal gegessen haben, aber von dem ist wohl nichts zu befürchten, was meinst du?
Schröder ist tot, stimmt Veronika zu. In die Gaspipeline gekrochen und nicht wieder aufgetaucht.
Nun können sie beide lachen und machen sich auf den Weg zu dem kleinen Italiener, der zwar voll ist, aber doch noch einen Zweiertisch zu bieten hat, auf dem kein Reserviert-Schild steht. Kaum sitzen sie, zieht Veronika den Brief aus der Tasche und legt ihn Martin hin.
Heute gekommen, sagt sie und bricht in Tränen aus.
Martin legt die linke Hand auf ihre Hand und nimmt mit der rechten den Brief. Faltet ihn etwas ungeschickt und umständlich auseinander.
Er denkt gar nicht mehr an Fingerabdrücke. Veronika macht daran fest, dass Martin der Meinung ist, man bewege sich sowieso auf den Showdown zu. Auf das Ende dieser sonderbaren Geschichte. Wenn Hanns wüsste, dass sie hier sitzt. Diesen ganzen Mist mit einem anderen Mann teilt. Er brächte mich um, denkt Veronika. Gut möglich, |238| dass er mich tötet und im Wald verscharrt, wenn er das hier erfährt. In der Nähe von Frankenburg, in einem dieser schönen Laubwälder. Unter einer Blutbuche. Wäre gar nicht so übel, unter einer Blutbuche zu liegen.
Ich hab heut Nacht geträumet wohl einen schönen Traum
, summt Veronika und guckt dem Polizisten zu, wie er den Brief liest.
Als Martin Wagemut damit fertig ist, legt er das Blatt auf den Tisch. Faltet es vorher zusammen und legt es in die Mitte. Zwischen sich und Veronika.
Hast du denn inzwischen eine Ahnung? Eine Idee?
Veronika nickt. Aber es wird nichts nützen. Wenn er verschwinden will, verschwindet er. Ich kann nichts tun. Nicht mal erklären kann ich es, ich habe ja keine Adresse, an die ich meine Erklärung schicken könnte. Meinst du.
Veronika macht eine Pause. Schaut dem Kellner zu, der am Nachbartisch einen Fisch serviert. Ihn auf einem kleinen Rollwägelchen kunstvoll zerlegt. Die Filetstückchen auf zwei Tellern portioniert. Dabei beäugt wird von einem jungen Paar, das aussieht, als wäre ihm der Wohlstand in die Wiege gelegt worden. So tut, als äße es jeden Tag teuren Fisch und ließe dafür einen Kellner vor seinen Augen rumhampeln.
Meinst du, wenn man ein Kind verlässt. Wenn man es weggibt. Dann gibt es dafür so was wie eine Entschuldigung. Meinst du das?
Martin nickt. Was bleibt ihm übrig. Er nickt. Und schweigt. Das wird das Beste sein, denkt Veronika. Es ist ja wohl auch alles gesagt, oder? Was könnte noch geredet werden darüber. Morgen gehe ich arbeiten. Und übermorgen auch. Mittwoch werde ich zu Hause sitzen und auf den Anruf warten. Vorher könnte ich mir aber Daniel anschauen.
Wo wohnst du eigentlich? Veronika stellt die Frage und nähme sie im gleichen Augenblick gern zurück.
|239| Martin schaut erschrocken auf. Nicht weit von dir. Zwanzig Minuten zu Fuß. Mit der Straßenbahn fünf.
Dann gehen wir jetzt zu dir. Veronika winkt dem Kellner und bittet um die Rechnung. Hebt die Hand, als Martin bezahlen will, und sagt: Ich. Zahlt und steht auf. Winkt draußen hektisch nach einem Taxi. Bringt erst das dritte zum Stehen und steigt ein. Martin ist völlig überrumpelt. Traut sich nicht zu glauben, was jetzt geschieht. Weiß, dass es wohl Veronikas Verzweiflung und Verrücktheit geschuldet ist. Denkt, dass es ihm egal ist. Hauptsache, er kann sie anfassen. Hauptsache, er kann seine Sehnsucht in ihr begraben. Hauptsache, sie überlegt es sich jetzt nicht noch anders. Er nennt dem Taxifahrer seine Adresse. Sitzt neben Veronika und nimmt ihre Hand. Die schaut ihn kurz an, lächelt müde, macht einen Kussmund. Das sieht ein bisschen obszön aus, wie die knallrot umrandeten Lippen sich spitzen und Martin eine Verheißung sein sollen. Ich sollte das nicht ausnutzen, denkt er. Aber vielleicht nutzt sie ja nur mich aus. Dann ist es gut. Das sei ihr gegönnt, wenn es ein Trost ist, kann sie mit mir machen, was sie möchte.
Martin zahlt die Taxifahrt und steigt aus. Sucht seinen Schlüssel und findet ihn nicht gleich. Das wäre ja nun der Hammer, wenn ich jetzt meinen Schlüssel verbummelt habe. Veronika kichert ein bisschen.
Wenn du jetzt deinen Schlüssel verbummelt hast, müssen wir in ein Hotel gehen.
Auch gut, denkt Martin, alles ist gut, wenn ich sie nur vögeln darf. Bitte lieber Gott, wo ist der Schlüssel?
Dann findet er ihn endlich, schließt auf und zieht Veronika in den dunklen Hausflur,
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