Lokale Erschuetterung
Ausreden anbietest.
Fadenscheinig, denkt Hanns, die Frau hat doch Stil.
Herr Tornemann ist in der Defensive. Schlecht zu verstehen. Sein Gemurmel kommt als Wortbrei unten an, kaum, dass Hanns den einen oder anderen Satzteil versteht. Nur einmal wird Tornemann laut: Wenn ich dich nur seh, ruft er, hab ich schon Sehnsucht nach dem nächsten Schnaps.
Das gefällt Hanns. Sehnsucht nach dem nächsten Schnaps. Könnte eine Schlagzeile werden, wenn sich das passende Ereignis bietet. Noch während er das denkt, gibt es über ihm einen Knall. Nicht wie ein Schuss, sondern eher so, als wäre ein Schrank umgefallen. Danach ist es still. Hanns liegt auf dem Bett und lauscht. Die Stille macht sich breit und wird irgendwie beängstigend. Hanns überlegt, ob sich Stille wirklich breitmachen kann und ob er aufstehen, hochgehen und klingeln sollte. Fragen, ob jemand zu Schaden gekommen ist. Ausgerechnet ich. Die werden sich freuen. Halbherzig setzt er sich auf und sucht seine Schuhe. Zieht sie an und hofft, von oben etwas zu hören, das ihn beruhigen könnte. Dass der unterbrochene Dialog einfach weitergeführt wird. Vielleicht mit der Aufforderung, sich doch möglichst schnell totzusaufen. Oder mit dem Al-Bundy-Spruch: Ich bin der einzige Mann auf der Welt, der nach dem Aufwachen einen Alptraum hat.
Hanns kann sich eine Menge vorstellen, wie ein solcher Streit weiterzuführen wäre. Ihm fielen da einige schöne Sätze ein. Lauter Schlagzeilen könnte er nennen, die sich eignen für einen derartigen Streit, der aus dem Nichts kommt, obwohl er allen Beteiligten auf die Stirn geschrieben stand. Aber es bleibt weiterhin totenstill über ihm.
|228| Verdammte gequirlte, stinkende Scheiße, murmelt er, steht auf, sucht seinen Wohnungsschlüssel und geht nach oben zu Tornemanns. Steht vor deren Tür und lauscht. Hört nichts. Fühlt sich dumm und ein bisschen hilflos. Klingelt. Hört nichts. Klingelt noch mal. Dann endlich Schritte. Jemand schlurft zur Tür und öffnet. Vor ihm steht Frau Tornemann. Perfekt angezogen und geschminkt. Wie er sie kennt. Sogar Lippenstift hat sie aufgelegt, als käm es darauf an. Guten Tag, sagt sie und hebt leicht die Brauen.
Ich habe Krach gehört, es klang, als wär etwas passiert.
Hanns kommt sich inzwischen richtig blöd vor. Die müssen doch denken, ich will jetzt eine Retourkutsche fahren.
Es ist etwas passiert. Frau Tornemann sieht Hanns an und wartet. Sie wirkt ruhig, nur der Lippenstift ist etwas verschmiert. Im rechten Mundwinkel.
Kommen Sie doch rein, lädt ihn die Frau ein, als sei er hier regelmäßig zu Besuch.
Hanns betritt die Wohnung, die im Vergleich zur sauberen und gelackten Frau Tornemann einen geradezu verspielten Eindruck macht. Schon der Flur sieht aus, als erfüllten sich Frau und Herr Tornemann hier alle Wünsche. Ein Wunsch schrecklicher als der andere, findet Hanns, aber darüber kann man bekanntlich streiten. Wenn es den Tornemanns gefällt, zwischen filigranen unpraktischen Möbelchen mit Messingbeschlägen, barocken Spiegeln mit Gipsrahmen und Laura-Ashley-Imitaten zu leben. Schön. Sollen sie. Kein Wunder, dass die bei Rammstein immer gleich die Krise kriegen. Geschweige denn bei dem anderen Zeug, das er hin und wieder laut hört.
Geradeaus, sagt die Frau und schließt die Wohnungstür.
Hanns geht geradeaus in das Zimmer, und da liegt Herr Tornemann unter einem Schrank. Zumindest ein Teil von |229| Herrn Tornemann liegt unter einer Glasvitrine. Die obere Hälfte von ihm sozusagen. Hanns schaut sich um. Hinter ihm steht Frau Tornemann mit verschränkten Armen und schweigt. Hanns geht zur Vitrine und versucht, sie von dem armen Tornemann runterzubekommen. Das geht leichter als gedacht. Zum Glück und wahrscheinlich, weil auch das Stück nur die Imitation eines Wunsches ist. Schon beim zweiten Versuch kriegt er das Teil angehoben und kann schauen, wie es Herrn Tornemann geht. Ob er lebt. Das scheint der Fall zu sein. Hanns ächzt und dreht sich so, dass er das Möbelstück neben dem Mann wieder ablegen kann. Der stöhnt leicht. Die Glasscheiben der Vitrine sind nicht kaputtgegangen, dafür aber wohl alles Zeug, was drinstand. Hanns hört das hässliche Klimpern und Knirschen der Scherben und hofft, dass die Scheiben halten.
Rufen Sie den Notarzt.
Die Frau bewegt sich nicht.
Hanns geht in den Flur und schaut nach dem Telefon. Findet es und ruft den Notarzt. Geht wieder zurück ins Wohnzimmer, wo Herr Tornemann genauso liegt wie eben noch. Nur mit dem Stöhnen hat er
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