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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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Sicher. Sie ist sich sicher.
    In ihrem Briefkasten liegen drei Briefe. Zwei sind von Martin Wagemut. Einer. Veronika fährt hoch in die Wohnung, schmeißt ihre Sachen in die Wäsche, weicht das Strassteil extra ein, lässt Wasser in die Badewanne laufen. Kippt so viel Schaumbad dazu, dass sich schon nach dreißig Sekunden ein weißer Berg auftürmt, der fast bis an die niedrige Badezimmerdecke reicht. Was macht man mit Badeschaum? Veronika fängt an, ihn klein zu duschen. Das hat doch immer funktioniert. Oder warten. Einfach warten. Sie schöpft weißen duftigen Schaum, packt ihn ins Waschbecken neben der Wanne und ins Klo, spült hier wie dort nach und summt ein Lied.
Auf dem Berge, da gehet der Wind, da wiegt die Maria ihr Kind mit ihrer schlohengelbweißen Hand, sie hat dazu kein Wiegenband, ach Joseph, lieber Joseph mein, ach hilf mir wiegen mein Kindelein.
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Wie kann ich dir denn dein Kindlein wiegen, ich kann ja kaum selber die Finger biegen.
    Der Schaumberg wird nicht kleiner. Es ist ein sinnloses Unterfangen. Veronika zieht sich aus und steigt in die Wanne. Verschwindet im Weiß, das ihr über den Kopf wächst, bis sie blind ist. Atmet ein und fängt an zu husten. Hustet ein großes Loch in den Schaum und denkt dabei an den Brief auf ihrem Schreibtisch. Daniel hat mir also wieder geschrieben, denkt sie und versucht gleichzeitig, sich zur Räson zu rufen. Wir wissen nicht, ob es Daniel ist. Wir wissen nichts. Wir können nichts wissen. Erst am Mittwoch. Aber vielleicht steht auch schon alles in dem Brief. Dann muss Hanns nichts mehr tun und klären. Dann kann er sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern.
    Veronika bleibt in der Wanne sitzen, bis der Schaumberg kleiner wird und sie ihren Körper sehen kann, mit dem sie fremdelt, wenn sie ihn durch die Wasseroberfläche betrachten muss. Das war schon immer so. Deshalb hat sie auch aufgehört, zwei Mal in der Woche schwimmen zu gehen. Sie hat ihren Körper nicht mehr erkannt. Kam ihr vor wie angeklebt. Sie steigt aus der Wanne, trocknet sich ab, zieht den Bademantel an, schenkt sich ein Glas Wein ein und setzt sich an den Schreibtisch. Öffnet zuerst die Briefe von Martin Wagemut. Der Polizist rückt nun mit der Sprache raus. Schreibt, dass er sich verliebt hat, dass er in sie verliebt ist. Dass es ihn glücklich und unglücklich zugleich macht. Dass er sie sehen will, mit ihr reden muss, immer noch nach dem Absender der ominösen Briefe sucht, weiß, dass alles fürchterlich kompliziert ist und gar keine Chance auf glückliche Fügung hat, trotzdem mit ihr reden will, schlecht schläft, viel an sie denkt, immer an sie denkt, sie anrufen möchte und sich dann nicht traut, dass sie ihm fehlt, obwohl sie ihm doch gar nicht gehört. Wie kann einem etwas fehlen, was man gar nicht hatte, fragt er.
    |234| Veronika liest und überlegt, ob ihr Martin Wagemut etwas bedeutet. Und was er ihr bedeutet. Ob sie nicht für immer und ewig zu Hanns gehört, der mit seiner Wut verheiratet ist, nicht mit ihr. Aber der sie auch liebt. Mehr wahrscheinlich als der Wagemut, der doch nur Teile und Stücke der versehrten Veronika kennt, dem nicht klar ist, was er sich da einhandelte, ginge sie wirklich auf sein Begehren ein.
    Veronika legt die Briefe beiseite und nimmt den dritten Umschlag zur Hand. Öffnet ihn mit den Fingern, nicht mit der Nagelfeile, die sie sonst immer dafür benutzt. Denkt, dass sie diesen Brief niemandem zeigen wird. Auch dem Polizisten nicht, der sie liebt. Faltet das Blatt auseinander. Das eine Blatt. Liest.
    Veronika. Nun bist du durcheinander. Ich sehe dir an, dass etwas geschehen ist. Du bewegst dich durch die Welt wie eine Kranke. Ich hoffe, es liegt nicht an mir. Aber das werde ich bald wissen. Ich überlege, ob dies der letzte Brief an dich sein sollte. Ob es nicht besser ist, wenn ich wieder verschwinde, mich in Luft auflöse. Was sagst du, Veronika? Wie fändest du das? Ich sehe, dass irgendetwas schiefgelaufen ist. Schiefläuft. Du wirkst so überrascht. Das verunsichert mich. War ich dir etwa nie ein Begriff? Kann es das sein? Hast du gar nicht an mich gedacht? Wenn dem so wäre, was ich kaum glauben kann, dann mache ich hier einen großen Fehler. Ich werde darüber nachdenken, Veronika. Ob meine Vorwürfe, meine Trauer und meine Wut ganz und gar ins Leere gelaufen sind. Ob es dafür überhaupt keinen Grund gab, weil du dich an mich nicht erinnerst. Es wäre doch die seltsamste Geschichte, die ich mir vorstellen kann. Aber möglich, Veronika,

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