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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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zu zwei oder drei Paaren - der nächste Schritt wäre natürlich die Massenorgie gewesen. Sie durfte mit ihren Freundinnen in eine Milchbar gehen und dort gelegentlich mit Jungen kichern und schwätzen, indes ich in diskreter Entfernung im Wagen wartete; und für den Fall, daß ihre Clique von einer gesellschaftlich annehmbaren Clique in Butlers Knabenakademie zum (natürlich streng beaufsichtigten) Jahresball eingeladen werden sollte, versprach ich in Erwägung zu ziehen, ob eine Vierzehnjährige ihr erstes Ballkleid anlegen dürfe (eine Art Robe, in der dünn-armige Teenager wie Flamingos aussehen). Darüber hinaus versprach ich, in unserem Haus eine Party zu geben, zu der sie ihre hübscheren Freundinnen einladen dürfe und die netteren Jungen, die sie bei dem Butler-Ball bis dahin kennengelernt hätte. Aber ich erklärte ausdrücklich, daß sie, solange ich zu bestimmen hätte, nie, nie die Erlaubnis bekommen werde, mit einem brünstigen Jüngling ins Kino zu gehen, im Auto zu schmusen, an gemischten Partys im Hause ihrer Schulkameradinnen teilzunehmen oder außer meiner Hörweite Telephongespräche mit Jungen zu führen, auch wenn sie nur über «seine Beziehungen zu einer Freundin von mir» sprechen wollte.
    Alles dies erboste Lo - sie nannte mich einen lausigen Gauner und Schlimmeres -, und mir wäre wohl der Geduldsfaden gerissen, hätte ich zu meiner süßesten Erleichterung nicht bald entdeckt, daß nicht etwa die Verhinderung eines besonderen Vergnügens, sondern die Beschneidung eines allgemeinen Rechtes sie verdroß. Verstehen Sie, ich behinderte das konventionelle Programm, den normalen Zeitvertreib, das, «was man üblicherweise so tut», die Routinen der Jugend; denn es gibt nichts Konservativeres als ein Kind, besonders ein Mädchen, auch wenn es das hellbraunste, das rosigste, das mythopoietischste Nymphchen im goldenen Oktoberdunst eines Obstgartens ist.
    Mißverstehen Sie mich nicht. Ich kann nicht beschwören, daß es ihr im Laufe jenes Winters nicht doch gelang, ungebührliche Kontakte mit fremden Jungen zu haben; wie genau ich ihre Freizeit auch überwachte, es gab natürlich doch dauernd Zeitlecks, über die sie keine Rechenschaft geben konnte und die sie mit überkomplizierten Erklärungen nachträglich zu stopfen suchte; natürlich schlug meine Eifersucht dauernd ihre krallige Klaue in das feine Gespinst der Nymphchenlügen; ich hatte aber das deutliche Gefühl - und kann mich heute für seine Richtigkeit verbürgen -, daß keine Ursache zu ernstlicher Sorge bestand. Ich habe dieses Gefühl nicht, weil ich unter den männlichen Statisten, die irgendwo im Hintergrund flimmerten, kein einziges Mal eine greifbare feste junge Kehle zuzudrücken hatte, sondern weil es mir «überwältigend klar» war (ein Lieb-lingsausdruck meiner Tante Sybil), daß alle Varietäten von Schuljungen - vom schwitzenden Einfaltspinsel, der sich daran ergötzt, im dunklen Kino «Händchen zu halten», bis zum selbstsicheren Vergewaltiger mit Pickeln und frisiertem Auto - meine anspruchsvolle junge Maitresse in gleicher Weise langweilten. «All dies Jungensgetue kotzt mich an», hatte sie auf den Innendeckel eines Schulbuchs gekritzelt, und darunter stand in Monas Handschrift (Mona ist jetzt jede Minute fällig) das verschlagene Witzwort: «Und Rigger?» (auchfällig).
    Die Kerlchen, die ich zufällig in ihrer Gesellschaft sah, waren also gesichtslos für mich. Zum Beispiel gab es Roter Pullover, der sie eines Tages - am Tag, als der erste Schnee fiel - nach Hause brachte; vom Wohnzimmerfenster aus beobachtete ich, wie sie vor unserer Eingangsveranda miteinander sprachen. Sie trug ihren ersten Tuchmantel mit Pelzkragen, auf meiner Lieblingsfrisur - Ponys vorn, gedrehte Kringel an der Seite und hinten die natürlichen Locken - hatte sie ein braunes Käppchen, und ihre feucht-schwarzen Mokassins und weißen Socken sahen schlunziger aus denn je. Beim „Sprechen und Zuhören preßte sie wie gewöhnlich ihre Bücher an die Brust, und ihre Füße gestikulierten die ganze Zeit über: Erst stützte sie den rechten Zeh auf dem linken Spann, zog ihn dann nach hinten, kreuzte die Füße, wiegte sich ein wenig, deutete ein paar kleine Schritte an und begann das Ganze wieder von vorn. Dann gab es Windjacke, der an einem Sonntagnachmittag vor einem Restaurant mit ihr sprach, während seine Mutter und seine Schwester versuchten, mich zu einem Schwätzchen zu entführen; ich ließ mich mitschleppen und sah mich nach meinem Ein und

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