Lolita (German)
Reynolds' Tage der Unschuld , und klobige Schülerpulte standen in mehreren Reihen. An einem las meine Lolita das Kapitel über den Dialog in Bakers Dramentechnik , und alles war sehr still, und vorne saß noch ein Mädchen mit sehr entblößtem, porzellanweißem Hals und wunderbarem Platinhaar, und auch dieses las völlig weltentrückt und wickelte sich dabei unablässig eine weiche Locke um den Finger, und ich setzte mich neben Dolly, unmittelbar hinter diesen Hals und dieses Haar, und knöpfte meinen Mantel auf, und gegen fünfundsechzig Cent plus die Erlaubnis, in dem Theaterstück der Schule mitzuspielen, brachte ich Dolly dazu, ihre tintenfleckige, kreidige, rotknöchelige Hand unter das Pult zu stecken. Es war töricht und leichtsinnig von mir, gewiß, aber nach der Tortur, die ich hinter mir hatte, mußte ich ganz einfach eine Kombination ausnutzen, von der ich wußte, daß sie einmalig wäre.
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Gegen Weihnachten holte sie sich eine heftige Erkältung und wurde von einer Freundin von Miss Lester untersucht, einer Dr. Ilse Tristramson (sei gegrüßt, Ilse, du warst eine gute, wenig neugierige Seele und hast meine Taube sehr sanft behandelt). Sie diagnostizierte eine Bronchitis und beklopfte Los Rücken (all sein Flaum im Fieber gesträubt) und steckte sie für eine Woche oder länger ins Bett. Zuerst «führte sie eine Temperatur», wie die Amerikaner sagen, und ich konnte der köstlichen Glut unerwarteter Genüsse nicht widerstehen - Venus febriculosa -, obwohl es eine sehr matte Lolita war, die in meinen Armen stöhnte und hustete und schauderte. Und sobald sie wieder wohlauf war, gab ich eine Party mit Jungs.
Vielleicht hatte ich in Vorbereitung auf diese Strapaze etwas zu viel getrunken. Vielleicht machte ich mich zum Narren. Die Mädchen hatten eine kleine Tanne geschmückt und angeschlossen - ein deutscher Weihnachtsbrauch, nur daß bunte Glühbirnen die Wachskerzen ersetzt hatten. Platten wurden ausgesucht und in das Grammophon meines Hausvermieters gefüttert, Die schicke Dolly trug ein hübsches graues Kleid mit enganliegender Taille und einem Glockenrock. Eine Melodie summend, zog ich mich nach oben in mein Arbeitszimmer zurück - und kam dann alle zehn oder zwanzig Minuten wie ein Idiot auf ein paar Sekunden nach unten; angeblich, um meine Pfeife vom Kaminsims zu holen oder nach der Zeitung zu suchen; und mit jedem neuen Besuch fielen mir diese einfachen Handlungen schwerer, und ich mußte an die entsetzlich fernen Tage denken, da ich mich zusammennehmen mußte, um zwanglos ein Zimmer des Hauses in Rams-dale zu betreten, wo Kleine Carmen spielte.
Die Fete war kein Erfolg. Von den drei eingeladenen Mädchen kam eine überhaupt nicht, und einer der Jungen brachte seinen Vetter Roy mit, so daß zwei Jungen überzählig waren, und die beiden Vettern konnten alle Tanzschritte, während die anderen Bubis so gut wie gar nicht tanzen konnten, und der größte Teil des Abends ging damit drauf, die Küche auf den Kopf zu stellen und endlos darüber zu streiten, welches Kartenspiel man spielen solle, und etwas später saßen zwei Mädchen und vier Jungen im Wohnzimmer auf dem Boden, wo alle Fenster offen standen, und spielten ein Wörterspiel, das Opal trotz aller Erklärungsversuche nicht kapierte, während Mona und Roy, ein schlanker, hübscher Bursche, in der Küche auf dem Tisch saßen, mit den Beinen baumelten, Ginger Ale tranken und heftig über Prädestination und das Bernoullische Theorem diskutierten. Als alle fort waren, sagte meine Lo «Uff», schloß die Augen und sank, alle viere seesternförmig von sich gestreckt, um Abscheu und Erschöpfung höchsten Grades auszudrücken, in einen Sessel und schwor, dies wären die widerlichsten Typen gewesen, die ihr je untergekommen seien. Für diese Bemerkung kaufte ich ihr einen neuen Tennisschläger.
Der Januar war feucht und warm, und der Februar narrte die Forsythien; keiner der Alteingesessenen hatte je solch Wetter erlebt. Auch andere Geschenke trudelten ein. Zum Geburtstag kaufte ich ihr ein Fahrrad - die bereits erwähnte bezaubernde mechanische Gazelle -und fügte eine Geschichte der modernen amerikanischen Malerei hinzu: Ihr Radfahrstil, ich meine die Art, wie sie sich dem Rad näherte, die Hüftbewegung beim Aufsteigen, ihre Grazie und so weiter verschafften mir großen Genuß; aber meine Bemühung, ihren Sinn für Malerei zu verfeinern, schlug fehl; sie wollte wissen, ob der Mensch, der auf Doris Lees Heu ein Mittagsschläfchen hält, der
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