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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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vergraben, meine Liebste! Die Zartheit deiner nackten Arme - wie verlangte ich danach, sie zu umfassen, all deine vier glatten, köstlichen Gliedmaßen, ein hingestrecktes Füllen, und deinen Kopf zwischen meinen unwürdigen Händen zu halten, die Schläfenhaut auf beiden Seiten zu straffen, deine nunmehr chinesischen Augen zu küssen, und ... «Bütte, laß mich in Ruhe», sagtest du dann, «laß mich doch gefälligst endlich in Ruhe.» Und dann stand ich vom Boden auf, und du sahst zu und zucktest mit dem Gesicht, meinen tic ner-veux nachäffend. Aber was macht das schon, was macht das schon, ich bin ja nur ein Vieh, macht nichts, nur weiter mit meiner elenden Geschichte.

11
    Eines Montagvormittags, im Dezember, glaube ich, bestellte mich die Pratt zu einer Unterredung in die Schule. Dollys Zensuren waren im vergangenen Monat nicht berühmt gewesen. Aber anstatt mich mit einer so naheliegenden Erklärung für die Vorladung zu begnügen, stellte ich mir allerlei Schreckliches vor und mußte mich mit einem halben Liter meines Ananasgins stärken, ehe ich dem Gespräch ins Auge sehen konnte. Langsam, als bestünde ich nur aus Adamsapfel und Herz, stieg ich die Stufen zum Schafott hinan.
    Ein riesiges Weib, grauhaarig, schlampig, mit breiter flacher Nase und kleinen Augen hinter einer schwarzen Hornbrille ... «Nehmen Sie Platz», sagte sie und wies auf ein zwangloses, demütigendes Kniekissen, während sie selber sich mit gewichtiger Munterkeit auf die Armlehne eines Eichenstuhls niederließ. Sie starrte mich eine Weile prüfend und mit lächelnder Neugier an. Bei unserer ersten Begegnung hatte sie es auch getan, wie ich mich erinnerte, aber damals hatte ich es mir noch leisten können zurückzustarren. Ihr Blick glitt von mir ab. Sie versank in Gedanken - wahrscheinlich zum Schein. Als müßte sie sich zu etwas durchringen, rieb sie am Knie ihren grauen Flanellrock Falte um Falte, um einen Kreidefleck oder sonst etwas zu entfernen. Dann sagte sie, immer noch reibend und ohne aufzublicken: «Ich möchte eine unverblümte Frage an Sie richten, Mr. Haze. Sie sind ein altmodischer Vater europäischen Stils, nicht wahr?»
    «Eigentlich nicht», sagte ich, «konservativ, wenn Sie wollen, aber nicht, was Sie unter altmodisch verstehen. »
    Sie holte tief Luft, runzelte die Stirn, klatschte dann, wie um nun endlich zur Sache zu kommen, in die großen plumpen Hände und richtete wieder ihre glänzenden Auglein auf mich.
    «Dolly Haze ist ein reizendes Mädel», sagte sie, «aber sie scheint Schwierigkeiten mit dem Beginn der Geschlechtsreife zu haben.»
    Ich machte eine leichte Verbeugung. Was sonst hätte ich tun können?
    «Sie pendelt noch», sagte Miss Pratt und zeigte mit ihren Leberfleckhänden, wie, «zwischen den Anal- und Genitalzonen der Entwicklung. Im Grunde ist sie ein reizendes ...»
    «Verzeihung», sagte ich, «was für Zonen?»
    «Da kommt der altmodische Europäer in Ihnen zum Vorschein!» rief die Pratt, gab meiner Armbanduhr einen kleinen Klaps und entblößte plötzlich ihr künstliches Gebiß. «Ich will damit nur sagen, daß der biologische und der psychologische Trieb - rauchen Sie? - bei Dolly noch nicht verschmolzen sind, daß beide sozusagen noch kein ... kein abgerundetes Ganzes bilden.» Ihre Hände hielten einen Augenblick lang eine unsichtbare Melone.
    «Sie ist anziehend, klug, wenn auch nachlässig. [Ohne ihren Hochsitz zu verlassen, machte das Weib schwer atmend eine Pause, um rechts von sich auf dem Schreibtisch das Zeugnis des reizenden Mädels anzusehen.] Ihre Zensuren werden immer schlechter. Ich frage mich nun, Mr. Haze ...» Wieder tat sie, als denke sie nach.
    «Also», fuhr sie mit Verve fort, «ich meinerseits rauche, und stolz darauf bin ich nicht, aber ich liiibe es nun mal, wie unser unvergeßlicher Dr. Pierce zu sagen pflegte.» Sie steckte sich eine Zigarette an, und der Rauch, den sie durch ihre Nüstern blies, glich einem Paar Hauer.
    «Vielleicht mache ich Sie am besten mit ein paar Einzelheiten bekannt; es geht ganz schnell. Lassen Sie uns mal sehen [sie kramte in ihren Papieren]. Sie ist Miss Redcock gegenüber bockig und unglaublich frech zu Miss Cormorant. Hier ist einer unserer wissenschaftlichen Sonderberichte: Singt gern im Chor, obwohl sie dabei zerstreut wirkt. Sitzt mit übergeschlagenen Beinen da und wippt mit linkem Fuß im Takt. Rubrik stehende Redensarten: ein Wortfeld von zweihundert-zweiundvierzig der häufigsten jugendlichen Slangausdrücke, dazu eine Anzahl

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