Lolita (German)
Vater der vorsätzlich wollüstigen Range im Vordergrund sei, und konnte nicht verstehen, warum ich sagte, Grant Wood oder Peter Hurd hätten Talent, aber Reginald Marsh oder Frederick Waugh seien Stümper.
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Als der Frühling die Thayer Street gelb, grün und rosa angetuscht hatte, war Lolita bereits unwiderruflich von der Theaterleidenschaft gepackt. Die Pratt, die ich an einem Sonntag mit einigen Damen im Walton Inn beim Essen sah, fing von weitem meinen Blick auf und spendete mir, als Lo nicht hinsah, anerkennend und diskret stummen Beifall. Ich hasse das Theater, weil es, historisch gesprochen, eine primitive und angefaulte Kunstform ist; eine Form, die nach Steinzeit-Riten und Gemeinschaftsunfug schmeckt, trotz gewisser individueller Genie-Injektionen wie beispielsweise die elisa-bethanische Poesie, die ein Leser in seinen vier Wänden automatisch aus dem Zeug herausfiltert. Da ich damals gerade mit eigenen literarischen Arbeiten sehr beschäftigt war, machte ich mir nicht die Mühe, Die verzauberten Jäger ganz durchzulesen, das Dramolett, in dem Dolores Haze die Rolle einer Farmerstochter zuteil wurde, die sich einbildet, eine Waldhexe oder Diana oder so etwas Ahnliches zu sein, und die, als ihr ein Buch über Hypnose in die Hände fällt, eine Anzahl verirrter Jäger in allerlei unterhaltsame Trancezustände versetzt, bis sie ihrerseits in den Bann eines vagabundierenden Poeten (Mona Dahl) gerät. So viel stoppelte ich mir aus den zerkrumpelten, schlecht getippten Textschnipseln zusammen, die Lo über das ganze Haus verstreute. Die Ubereinstimmung des Titels mit dem Namen eines unvergeßlichen Hotels berührte mich auf eine etwas traurige Weise angenehm: Müde dachte ich, es sei wohl besser, meine eigene Verzauberin nicht darauf aufmerksam zu machen, damit sie mir nicht frech Gefühlsduselei vorwerfe, denn das hätte mich noch mehr verletzt als der Umstand, daß sie selber es nicht bemerkt hatte. Ich nahm an, das Stück sei eine der vielen so gut wie anonymen Spielarten einer banalen Sage. Genausogut hätte ich natürlich darauf kommen können, der Gründer des Hotels habe sich auf der Suche nach einem attraktiven Namen sofort und ausschließlich von den zufälligen Phantasien des zweitrangigen Freskenmalers leiten lassen, den er angeheuert hatte, und der Name des Hotels habe dann den Titel des Stückes angeregt. Aber in meinem gutgläubigen, einfältigen, wohlwollenden Gemüt drehte ich die Sache um, und ohne mir über das Ganze groß Gedanken zu machen, nahm ich an, daß Wandmalerei, Name und Titel alle aus ein und dersel-ben Quelle stammten, aus einer einheimischen Überlieferung, die ich, ein Ausländer, dem die Folklore Neu-Englands fremd ist, nicht unbedingt kennen mußte. Infolgedessen stand ich unter dem Eindruck (alles dies übrigens ganz nebenher, verstehen Sie, und ohne jedwede Bedeutung), das verdammte Stück gehöre zu jener Gattung bizarrer Nichtigkeiten, die für ein kindliches Publikum immer wieder neu bearbeitet werden, wie Hansel und Gretel von Richard Roe oder Dornröschen von Dorathy Doe oder Des Kaisers neue Kleider von Maurice Vermont und Marion Rumpelmeyer -, welchselbe man alle in Stücke für Schultheater oder Wir spielen Theater finden kann. Mit anderen Worten, ich wußte nicht - und es wäre mir auch gleichgültig gewesen -, daß es sich bei den Verzauberten Jägern um ein ziemlich neues und in formaler Hinsicht originelles Werk handelte, das erst vor drei oder vier Monaten von einem feinen New Yorker Studiotheater uraufgeführt worden war. Mir schien es - nach der Rolle meiner Zauberin zu urteilen -ein deprimierend manieriertes Opus zu sein, mit Anklängen an Lenormand und Maeterlinck und diverse stille britische Träumer. Von den Jägern, die rote Mützen trugen und alle gleich angezogen waren, war einer Bankier, der andere Klempner, der dritte Polizist, der vierte Leichenbestatter, der fünfte Versicherungsagent, der sechste ein entsprungener Sträfling (Sie sehen die dramatischen Möglichkeiten!), und alle machten sie in Dollys Doline eine völlige Wandlung durch und erinnerten sich an ihr wirkliches Leben nur wie an gute oder schlechte Träume, aus denen die kleine Diana sie erweckt hatte; ein siebenter Jäger indessen (mit grüner Mütze, der Narr), war ein Junger Dichter, der zu Dianas großem Verdruß darauf bestand, sie selber und die anderen Teilnehmer der Divertissements (tanzende Nymphen, Elfen und Ungeheuer) seien seine, des Dichters, Erfindung. Ich begriff, daß
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