Lolita (German)
bestimmt, bestimmt, aber Miss Cormorant glaubt, und ich bin geneigt, ihr beizupflichten, daß Dolly besessen ist von sexuellen Vorstellungen, für die sie kein Ventil findet, und daher andere Mädchen und sogar unsere jüngeren Lehrerinnen ärgert und quält, weil sie unschuldige Rendezvous mit Jungen haben.»
Zuckte die Achseln. Ein schäbiger Emigrant.
«Lassen Sie uns gemeinsam nachdenken, Mr. Haze. Was in aller Welt stimmt nicht bei dem Kind?»
«Sie kommt mir ganz normal und glücklich vor», sagte ich. (Brach die Katastrophe endlich herein? War ich enttarnt? Hatten sie einen Hypnotiseur?)
«Was mir Sorge macht», sagte Miss Pratt, sah auf die Uhr und begann, das ganze Thema von neuem durchzukauen, «das ist, daß sowohl Lehrerinnen als auch Mitschülerinnen Dolly feindselig, unzufrieden, verschlossen finden - und alle fragen sich, was Sie eigentlich gegen den natürlichen Zeitvertreib eines normalen Kindes einzuwenden haben.»
«Sie meinen Sexspiele?» fragte ich übermütig, verzweifelt, eine in die Enge getriebene alte Ratte.
«Nun, diese fortschrittliche Ausdrucksweise begrüße ich jedenfalls», sagte die Pratt grinsend. «Aber darum geht es nicht so sehr. Unter der Aufsicht der Schule von Beardsley sind Theaterspielen, Tanzen und andere natürliche Aktivitäten nicht eigentlich Sexspiele, auch wenn Mädchen dabei mit Jungen zusammenkommen, falls das es ist, wogegen Sie Einwände haben.»
«Gut», sagte ich, und mein Kniekissen gab einen erschöpften Seufzer von sich. «Sie haben gesiegt. Sie darf in dem Stück mitspielen. Vorausgesetzt, die männlichen Partien werden mit Mädchenpartien besetzt. »
«Mich fasziniert immer die bewunderungswürdige Art», sagte die Pratt, «in der einige Ausländer - oder wenigstens naturalisierte Amerikaner - sich unserer reichen Sprache bedienen. Ich bin sicher, Miss Gold, die Leiterin der Schauspielgruppe, wird strahlen. Mir fällt auf, daß sie eine der wenigen Lehrerinnen ist, die Dolly leiden mögen ... ich meine, die Dolly zugänglich finden. Damit hätten wir wohl die allgemeinen Fragen durch, glaube ich; jetzt kommt etwas Spezielles. Wir machen uns wieder mal Sorgen.»
Die Pratt legte eine grausame Pause ein und rieb dann mit solcher Wucht den Zeigefinger unter den Nüstern hin und her, daß ihre Nase eine Art Kriegstanz aufführte.
«Ich bin ein freimütiger Mensch», sagte sie, «aber Konventionen sind nun einmal Konventionen, und ich finde es schwierig... Ich möchte es so sagen... Die Walkers, die in der Herzogsresidenz wohnen, wie das Haus hier bei uns heißt, Sie wissen schon, das große graue Haus ganz oben auf dem Hügel - sie schicken ihre beiden Töchter auf unsere Schule, und wir haben auch die Nichte von Präsident Moore, ein wirklich anmutiges Kind, von einer Reihe anderer prominenter Kinder zu schweigen. Nun, unter diesen Umständen ist es ein ziemlicher Schock, wenn Dolly, die wie eine kleine Dame aussieht, Wörter gebraucht, die Sie als Ausländer wahrscheinlich gar nicht kennen oder nicht verstehen. Vielleicht wäre es besser... Soll ich Dolly rufen lassen, damit wir gleich jetzt mit ihr darüber reden? Nein? Sehen Sie... na ja, dann muß ich wohl mit der Sprache heraus. Dolly hat ein höchst obszönes Vier-Buchstaben-Wort, von dem unsere Frau Doktor Cutler sagt, es sei ein gemeiner mexikanischer Ausdruck für Pissoir, mit ihrem Lippenstift auf ein paar Gesundheitsbroschüren geschrieben, welche Miss Redcock, die im Juni heiratet, an die Mädchen verteilt hatte, und wir fanden, daß Dolly nachsitzen muß - wenigstens eine halbe Stunde. Aber wenn Sie wünschen...»
«Nein», sagte ich, «ich möchte die Regeln nicht durcheinanderbringen. Ich spreche dann später mit ihr. Ich werde es ihr schon austreiben.»
«Tun Sie das», sagte das Weib und erhob sich von der Stuhllehne. «Und vielleicht können wir uns bald wiedersehen, und wenn es nicht besser wird, könnten wir sie von unserer Ärztin Frau Doktor Cutler analysieren lassen.»
Sollte ich die Pratt heiraten und sie erwürgen?
«Und vielleicht möchte Ihr Hausarzt sie ja einmal untersuchen - nur so, rein routinemäßig. Sie ist in Pilz -das letzte Klassenzimmer auf diesem Gang.»
Die Beardsleyer Schule, das muß erklärt werden, imitierte eine berühmte englische Schule, indem sie «traditionelle» Spitznamen für die verschiedenen Klassenzimmer verwandte: «Raum Ameise», «Raum Blume», «Raum Chamäleon» und so fort. Es roch in Pilz, über der Tafel hing ein Sepiadruck von
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