Lolita (German)
wie garstig es von ihr sei, aber sie habe der Verlockung einfach nicht widerstehen können und die Zeit der Klavierstunden dazu benutzt - o Leser, mein Leser! -, in den nahen Parkanlagen mit Mona die Zauberwaldszene zu proben. Ich sagte «gut» - und stapfte zum Telephon. Monas Mutter war am Apparat: «Aber ja, sie ist zu Haus», und zog sich mit dem unbeteiligten, höflich erfreuten Lachen einer Mutter zurück, um in die Kulissen zu rufen: «Roy am Telephon!», und gleich darauf rauschte Mona herbei und fing sofort an, mit leiser, monotoner, nicht unzärtlicher Stimme Roy wegen irgendeiner begangenen oder gesagten Gemeinheit den Kopf zu waschen, und ich unterbrach sie, und Mona sagte in ihrem unterwürfigsten, erotischsten Alt: «Ja, Sir», «Gewiß, Sir», «An dieser unseligen Sache bin einzig ich schuld» (welche Redegewandtheit! welche Haltung!), «Ehrlich, ich habe ein schlechtes Gewissen» - und so weiter und so fort, wie diese kleinen Huren eben reden.
So räusperte ich mich denn, legte die Hand aufs Herz und ging wieder nach unten. Lo saß jetzt im Wohnzimmer, in ihrem zu prall gepolsterten Lieblingssessel. Als sie da so hingelümmelt saß, an einem Niednagel knabberte, mir mit einem höhnischen Blick aus ihren herzlosen, rauchfarbenen Augen folgte und die ganze Zeit einen Hocker schaukelte, auf den sie die Ferse ihres ausgestreckten schuhlosen Fußes gestützt hatte, gewahrte ich plötzlich mit einem beklemmenden Gefühl der Übelkeit, wie sehr sie sich in den zwei Jahren, die ich sie jetzt kannte, verändert hatte. Oder war es in den letzten zwei Wochen geschehen? Tendresse? Der Mythos war jetzt zerstört. Sie saß genau im Brennpunkt meines glühenden Zorns. Der dichte Nebel der Begierde war hinweggefegt und hatte nichts als diese schreckliche Klarsicht hinterlassen. Ja, sie hatte sich verändert! Ihr Teint war jetzt der irgendeines gewöhnlichen, unordentlichen Schulmädchens, das mit schmuddligen Fingern gemeinsam benutzte Kosmetika auf ein ungewaschenes Gesicht schmiert und dem es einerlei ist, mit welchen unsauberen Stoffen, mit welcher pickligen Epidermis ihre Haut in Berührung kommt. So köstlich war deren zarter Flaum früher gewesen, so glänzend vom Tau der Tränen, wenn ich ihren zerzausten Kopf im Spiel auf meinem Knie hin und her gerollt hatte. Jetzt war eine rauhe Röte an die Stelle jenes unschuldigen Schimmers getreten. Der Frühjahrsschnupfen, den sie in jener Gegend «Kaninchenerkältung» nennen, hatte die Ränder ihrer verachtungsvollen Nasenlöcher mit flammendem Rosa überzogen. Als ich den Blick entsetzt senkte, glitt er mechanisch an der Unterseite ihres straff gestreckten, nackten Schenkels entlang - wie waren ihre Beine glatt und muskulös geworden! Sie hielt ihre weit auseinanderliegenden, rauchglasgrauen und etwas blutunterlaufenen Augen fest auf mich gerichtet, und ich glaubte in ihnen den heimlichen Gedanken zu lesen, daß Mona vielleicht ja doch recht hätte und sie, die Waise Dolores, mich anzeigen könne, ohne selber bestraft zu werden. Wie falsch von mir. Wie verrückt ich war! Alles an ihr stimmte in verzweiflungsvoller, unfaßbarer Weise überein - die Kraft der schöngeformten Beine, die schmutzige Sohle des weißen Söckchens, der dicke Sweater, den sie trotz der Stickigkeit des Zimmers anhatte, ihr neuer Zwiebelgeruch und besonders die Sackgasse ihres Gesichts mit seiner seltsamen Röte und dem frisch aufgetragenen Lippenrot. Etwas von dem Rot hatte auf ihre Vorderzähne abgefärbt und beschwor eine schauerliche Erinnerung herauf - nicht das Bild von Monique, sondern das einer anderen jungen Prostituierten in einem Bordell vor vielen, vielen Jahren, die mir von einem anderen weggeschnappt worden war, ehe ich Zeit hatte zu entscheiden, ob ihre bloße Jugend es wert sei, eine greuliche Krankheit zu riskieren, und die ebenfalls diese hektischen, vorstehenden Backenknochen gehabt hatte, eine tote maman , breite Vorderzähne und ein Stück schmutziges rotes Band in ihrem ländlich-braunen Haar.
«Na sag was», sagte Lo. «War die Auskunft zufriedenstellend?»
«Aber ja», sagte ich. «Vollkommen. Und ich habe keinen Zweifel, daß ihr zwei euch abgesprochen habt. Übrigens habe ich auch keinen Zweifel, daß du ihr alles über uns erzählt hast.»
«Ach wirklich?»
Ich hielt den Atem zurück und sagte: «Dolores, das muß auf der Stelle aufhören. Ich bin imstande, dich aus Beardsley herauszureißen und einzusperren, du weißt wo, das muß jedenfalls aufhören. Ich bin
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