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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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zehn Dollar für zwei Einzelbetten, Fliegen standen draußen an der insektenschutzlosen Tür Schlange und kamen hereingekrabbelt, in den Aschenbechern befand sich noch die Asche unserer Vorgänger, ein Frauenhaar lag auf dem Kopfkissen, man hörte den Nachbar sein Jackett in den Wandschrank hängen, die Kleiderbügel waren mit Drahtschlingen erfinderisch an den Stangen befestigt, um Diebstahl zu verhindern, und als krönende Beleidigung waren auch noch die beiden Bilder über den Zwillingsbetten eineiige Zwillinge. Mir fiel auch auf, daß sich die Mode in dem Gewerbe änderte. Neuerdings ging die Tendenz dahin, die Bungalows miteinander zu verschmelzen, so daß sie allmählich die Form einer Karawanserei annahmen, und lo! (sie interessierte sich nicht dafür, aber der Leser vielleicht) - es wurde eine zweite Etage aufgesetzt, eine Lobby eingebaut, die Autos kamen in eine gemeinsame Garage, und das Motel verwandelte sich zurück in das gute alte Hotel.
    Ich möchte den Leser nun bitten, sich nicht über mich und meine geistige Umnebelung zu mokieren. Für ihn und mich ist es heute ein Leichtes, ein vergangenes Verhängnis zu entziffern; doch ein erst im Entstehen begriffenes Verhängnis ist, glauben Sie mir, keiner dieser ehrlichen Kriminalromane, bei denen man nur die Verdachtsmomente im Auge zu behalten braucht. In meiner Jugend las ich einmal eine französische Detektivgeschichte, in der die Hinweise tatsächlich kursiv gedruckt waren; das aber ist nicht McFa-tums Art - selbst wenn man es lernt, gewisse dunkle Anzeichen zu erkennen.
    Zum Beispiel: Ich könnte nicht beschwören, daß sie vor oder ganz zu Beginn unserer Fahrt durch den Mittelwesten nicht wenigstens eine Gelegenheit hatte, einer oder mehreren mir unbekannten Personen eine Nachricht zukommen zu lassen oder sich auf andere Weise mit ihnen in Verbindung zu setzen. Wir hatten an einer Tankstelle unter dem Schild des Pegasus gehalten, und sie war von ihrem Sitz geglitten und zu den hinteren Örtlichkeiten entwischt, während die aufgeklappte Haube, unter die ich getaucht war, um den Manipulationen des Mechanikers zuzusehen, sie für kurze Zeit meiner Sicht entzog. Zur Milde geneigt, schüttelte ich nur mein gütiges Haupt, obgleich der Besuch öffentlicher Toiletten streng verboten war, weil ich instinktiv fühlte, daß Toiletten - wie auch Telephonzellen - aus unerfindlichen Gründen die Spitzen waren, an denen sich das Gewebe meines Schicksals am ehesten verfangen könnte. Für uns alle gibt es derlei verhängnisträch-tige Male - für den einen ist es eine immer wiederkehrende Landschaft, für den anderen eine Zahl -, die von den Göttern sorgfältig ausgesucht wurden, um Ereignisse von besonderer Bedeutung für uns herbeizuführen: Hier wird John immer straucheln; dort wird Janes Herz immer brechen.
    Also - mein Wagen war versorgt, und ich hatte ihn von den Benzinpumpen weggefahren, um einem Kleinlaster Platz zu machen - als im windigen Grau das zunehmende Gewicht ihrer Abwesenheit auf mir zu lasten begann. Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal hatte ich mit solch dumpfem geistigem Unbehagen diese überall gleichen Trivialitäten angestarrt, die geradezu überrascht wirken - wie gaffende Bauern sich im Blickfeld des gestrandeten Reisenden zu befinden: den grünen Mülleimer, die sehr schwarzen, sehr weiß-wandigen Reifen, die zum Verkauf stehen, die bunten Motorölbüchsen, den roten Kühlschrank mit einem Sortiment von Getränken, die vier, fünf, sieben leeren Flaschen im ungelösten Kreuzworträtsel ihrer hölzernen Zellen, den Käfer, der geduldig an der Innenseite des Bürofensters emporklettert. Radiomusik kam aus der offenen Tür, und da der Rhythmus mit dem Wogen und Flattern und den anderen Gebärden der windbewegten Vegetation nicht synchron war, wirkte es, als wohnte man einem alten Stummfilm bei, der sein eigenes Leben führt, während Klavier oder Fiedel eine musikalische Linie verfolgen, die außerhalb der Sphäre der schaudernden Blume, des wehenden Zweiges liegt. Zusammenhanglos durchzitterte mich der Klang von Charlot-tes letztem Schluchzen, als Lolita mit ihrem gegen den Rhythmus flatternden Kleid aus einer gänzlich unerwarteten Richtung auftauchte. Sie habe die Toilette besetzt gefunden und sei zu dem Schild mit der Muschel im nächsten Block hinübergelaufen. Dort habe angeschlagen gestanden, man sei stolz auf die Toiletten, die genauso sauber seien wie bei Ihnen zu Hause. Diese frankierten Postkarten, habe es auch geheißen,

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