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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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sich als viel zu flach für meine klotzigen Schachfiguren, aber ich behielt sie - und führte sie einem ganz anderen Zweck zu.
    Um das Netz des Schicksals zu zerreißen, in dem ich mich - wie ich dunkel empfand - verfangen hatte, beschloß ich (Los unverhohlenem Verdruß zum Trotz), eine zweite Nacht im Kastanienhof zu verbringen; als ich um vier Uhr morgens hellwach war, vergewisserte ich mich, daß Lo noch fest schlief (Mund offen, in einer Art von dumpfem Staunen über das merkwürdig inhaltslose Dasein, das wir alle für sie hergerichtet hatten), und stellte befriedigt fest, daß der kostbare Inhalt der «Luizetta» noch da war. Behaglich in einen weißen Wollschal gewickelt, ruhte darin eine kleine Pistole, Kaliber 8, i Millimeter, Magazin für acht Patronen, Länge etwas weniger als ein Neuntel von Lolitas Länge, Kolben Nußbaum mit Karos, Lauf ganz Blaustahl. Ich hatte sie von dem verstorbenen Harold Haze geerbt, zusammen mit einem Katalog von 1938, der fröhlich unter anderem dies verkündete: «Besonders geeignet für den Gebrauch im Hause und im Wagen, wie auch am Mann.» Da lag sie, bereit, sofort am Mann oder den Männern angewendet zu werden, geladen und gespannt, aber durch einen Schieberiegel gesichert, auf daß sie nicht versehentlich losgehe. Wir dürfen nicht vergessen, eine Pistole ist das freudianische Symbol für das zentrale Glied des Urvaters.
    Jetzt war ich froh, sie bei mir zu haben - und noch froher, daß ich vor zwei Jahren in den Fichtenwäldern um meinen und Charlottes Glas-See gelernt hatte, mit ihr umzugehen. Farlow, mit dem ich damals in jenen fernen Wäldern umher streifte, war ein hervorragender Schütze und hatte es tatsächlich fertiggebracht, mit seiner 9,6 Millimeter einen Kolibri zu treffen, wenn ich auch sagen muß, daß als Trophäe nicht eben viel von ihm übrigblieb - nur ein kleiner vielfarbiger Federflausch. Ein stämmiger Expolizist namens Krestovski, der in den zwanziger Jahren zwei entsprungene Zuchthäusler erschossen hatte, stieß zu uns und brachte einen winzigen Specht zur Strecke - mitten in der Schonzeit übrigens. Im Vergleich zu diesen beiden Weidmännern war ich natürlich ein Grünschnabel und schoß immer daneben, obgleich es mir später glückte, ein Eichhörnchen zu verwunden, als ich einmal allein auf Jagd ging. «Bleib du nur schön hier liegen», raunte ich meinem leichtgewichtigen, gedrungenen kleinen Kumpel zu und trank einen Schluck Gin auf sein Wohl.

18
    Kastanien und Colts muß der Leser jetzt vergessen und uns weiter nach Westen begleiten. An den nächsten Tagen gab es etliche starke Gewitter - oder vielleicht war es nur ein einziges, das in bedächtigen Froschsprüngen landüber vorrückte und das wir nicht abschütteln konnten, wie wir auch Detektiv Trapp nicht abschütteln konnten: Denn in diesen Tagen beschäftigte mich das Rätsel des aztekenroten Cabriolets und überschattete das Thema von Los Liebhabern.
    Merkwürdig! Ich, der ich auf jedes männliche Wesen eifersüchtig war, das wir trafen - merkwürdig, wie falsch ich die Ankündigungen des Verhängnisses deutete. Vielleicht hatte mich Los braves Betragen im Winter eingelullt, aber auf alle Fälle wäre sogar für einen Wahnsinnigen die Vermutung zu töricht gewesen, irgendein Humbert II. verfolge Humbert I. und sein Nymphchen mit Jupiterfeuerwerk begierig über die weiten und reizlosen Ebenen. Ich nahm also an, daß der rote Yak, der sich Meile um Meile in diskreter Entfernung hinter uns hielt, von einem Detektiv gesteuert wurde, der im Auftrag irgendeines Gschaftlhubers herauszubekommen suchte, was Humbert Humbert da eigentlich mit seiner minderjährigen Stieftochter trieb. Wie immer in Zeiten knisternder Blitze und elektrischer Störungen in der Atmosphäre hatte ich Halluzinationen. Vielleicht waren es auch mehr als Halluzinationen. Ich weiß nicht, was sie oder er oder beide mir in meinen Gin getan hatten, aber eines Nachts war ich sicher, daß jemand an die Tür unseres Bungalows klopfte, riß sie weit auf und bemerkte zweierlei - daß ich splitternackt war und daß in der regentriefenden Dunkelheit ein weiß schimmernder Mann auf der Schwelle stand, der sich die Maske von «Kinnlade», einem grotesken Comics-Detektiv vors Gesicht hielt. Er stieß ein gedämpftes Hohngelächter aus und türmte, und ich taumelte zurück ins Zimmer und schlief gleich wieder ein und bin bis heute nicht sicher, ob der Besuch nicht vielleicht ein Drogentraum war: Ich habe Trapps Art von Humor gründlich

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