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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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imstande, dich hier wegzubringen, schneller, als ein Koffer gepackt ist. Das muß aufhören, sonst passiert vielleicht etwas Nichtwiedergutzumachendes.»
    «Sonst passiert was, äh?»
    Ich riß ihr den Hocker fort, den sie mit der Ferse schaukelte, und ihr Fuß fiel mit einem Bums auf den Boden.
    «He», schrie sie, «immer sachte.»
    «Erst gehst du jetzt nach oben», schrie ich meinerseits - und griff gleichzeitig nach ihr und zog sie hoch. Von diesem Augenblick an dämpfte ich meine Stimme nicht mehr, und wir brüllten uns gegenseitig weiter an, und sie sagte nicht wiederzugebende Dinge. Sie sagte, sie verabscheue mich. Sie schnitt mir schauerliche Grimassen, blies die Backen auf und machte einen teuflischen Knall-Laut. Sie sagte, ich hätte noch als Mieter im Hause ihrer Mutter mehrmals versucht, sie zu mißbrauchen. Sie sagte, sie sei sicher, ich hätte ihre Mutter umgebracht. Sie sagte, sie werde mit dem Erstbesten schlafen, der es ihr antrage, und ich könnq gar nichts dagegen tun. Ich sagte, sie solle sofort nach oben gehen und mir all ihre Verstecke zeigen. Es war eine schrille, widerwärtige Szene. Ich hielt sie an ihren knochigen Handgelenken, und sie wand und drehte sie hin und her und suchte heimlich nach einer Schwachstelle, um sich mit einem Ruck freizumachen, aber ich hielt sie fest gepackt und tat ihr ziemlich weh und hoffe, daß das Herz in meiner Brust dafür verrotten wird, und ein- oder zweimal riß sie so heftig mit ihrem Arm, daß ich Angst hatte, sie könne ihr Gelenk ausrenken, und die ganze Zeit starrte sie mich mit diesen unvergeßlichen Augen an, in denen eisige Wut und heiße Tränen miteinander kämpften, und unsere Stimmen überschrien das Telephon, und als ich das Läuten schließlich wahrnahm, riß sie sich sofort los und floh.
    Ich scheine mit den Filmhelden die Dienste des plötzlichen Gottes aus der machina telefonica zu teilen. Diesmal war es eine aufgebrachte Nachbarin. Das östliche Wohnzimmerfenster stand zufällig offen, wenn auch die Jalousie gnädig herabgelassen war; und hinter ihr hatte die feuchte, schwarze Nacht eines säuerlichen Neu-England-Frühlings uns atemlos zugehört. Ich war immer der Meinung gewesen, der Typ der äußerlich stockfischartigen Jungfer mit dem obszönen Innenleben sei das Produkt beträchtlicher literarischer Inzucht in der modernen Romanliteratur; jetzt aber bin ich sicher, daß die prüde und geile Miss Ost - oder, um ihr Inkognito zu lüften, Miss Fenton Lebone - zu drei Vierteln aus ihrem Schlafzimmerfenster herausgehangen hatte, um herauszubekommen, worum es in unserem Streit ging.
    «... Was für ein Krach .., Keinerlei Rücksicht...», quakte der Hörer, «wir sind hier nicht in einer Mietskaserne. Ich muß dringend bitten ...»
    Ich entschuldigte mich, daß die Gäste meiner Tochter soviel Lärm machten. «Diese jungen Leute, Sie wissen ja ...», und legte die nächsten anderthalb Quaklaute auf.
    Unten schlug die Drahttür zu. Lo? War sie geflüchtet?
    Durch das Treppenfenster sah ich ein eiliges kleines Gespenst durch die Büsche schlüpfen; ein silbriger Punkt im Dunkel - die Nabe eines Rades - bewegte sich, zitterte, und fort war sie.
    Es traf sich, daß der Wagen die Nacht in einer Reparaturwerkstatt im Zentrum verbrachte. Mir blieb keine Wahl, als den beschwingten Flüchtling zu Fuß zu ver-folgen. Sogar heute noch, nachdem mehr als drei Jahre herangeflutet und verebbt sind, kann ich mir jene nächtliche Frühlingsstraße, jene bereits so belaubte Straße nicht ohne ein panisches Keuchen vorstellen. Vor ihrer erleuchteten Veranda führte Miss Lester Miss Fabians wassersüchtigen Dackel spazieren. Mr. Hyde rannte ihn fast um. Drei Schritt gehen, drei laufen. Ein lauer Regen trommelte jetzt auf die Kastanienblätter ein. An der nächsten Ecke drängte ein verschwommener Jüngling Lolita gegen ein Eisengitter, hielt sie umfaßt und küßte ... nein, nicht sie, Irrtum. Mit unverbrauchtem Jucken in den Krallen hastete ich weiter.
    Etwa eine halbe Meile östlich von Nummer Vierzehn verheddert sich die Thayer Street in einen Privatweg und eine Querstraße; die letztere führt zum Geschäftsviertel; vor dem ersten Drugstore sah ich - mit welcher Fanfare der Erleichterung! - Lolitas schönes Fahrrad auf sie warten. Ich stieß, anstatt zu ziehen, zog, stieß, zog und trat ein. Aufgepaßt! Zehn Schritt von mir entfernt blinzelte Lolita durch die Glasscheibe der Telephonzelle (der Membranengott weilt noch bei uns), die Hand schützend um das

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