Lolita (German)
seien für Ihre Kommentare bestimmt. Aber es habe keine Postkarten gegeben. Keine Seife. Nichts. Kein Kommentar.
An diesem oder dem folgenden Tag gelangten wir nach einer langweiligen Fahrt durch lauter Landwirtschaft in ein freundliches Städtchen und stiegen im Kastanienhof ab - nette Cottages, feuchtes, grünes Gelände, Apfelbäume, eine alte Schaukel - und ein großartiger Sonnenuntergang, für den das müde Kind keinen Blick hatte. Sie hatte über Kasbeam fahren wollen, das nur dreißig Meilen nördlich von ihrer Heimatstadt lag, aber am nächsten Morgen war sie recht energielos und hatte keine Lust, den Bürgersteig wiederzusehen, auf dem sie noch vor fünf Jahren «Himmel und Hölle» gespielt hatte. Aus verständlichen Gründen hatte ich diesen Abstecher gefürchtet, auch wenn wir übereingekommen waren, uns in keiner Weise bemerkbar zu machen - im Wagen zu bleiben und keine alten Bekannten zu besuchen. Die Erleichterung darüber, daß sie den Plan fallenließ, verdarb mir der Gedanke, daß sie nicht so leicht aufgegeben hätte, hätte sie gespürt, daß ich noch immer so absolut wie im Vorjahr dagegen war, sie den Heimwehgefahren von Pisky auszusetzen. Als ich das seufzend erwähnte, seufzte sie auch und sagte, sie fühle sich nicht wohl. Sie wollte wenigstens bis zur Teezeit mit einem Stoß Zeitschriften im Bett bleiben, und wenn es ihr besser ginge, sollten wir einfach weiterfahren in Richtung Westen. Ich muß schon sagen, sie war sehr süß und matt und hatte großen Appetit auf frisches Obst, und ich beschloß, nach Kasbeam hineinzugehen und ihr dort einen leckeren kalten Lunch zu besorgen. Unser Cottage lag auf einem bewaldeten Hügelkamm, und von unserem Fenster aus konnte man sehen, wie sich die Straße hinunterwand und dann, schnurgerade wie ein Haarscheitel, zwischen zwei Reihen von Kastanienbäumen auf das hübsche Städtchen zulief, das in der reinen Morgenferne merkwürdig deutlich und spielzeughaft dalag. Man konnte ein elfenhaftes Mädchen auf einem libellenhaften Fahrrad erkennen und daneben einen im Verhältnis etwas zu großen Hund, und alles war so Idar wie die Pilger und Maultiere, die auf alten Gemälden mit bläulichen Hügeln und roten Figürchen auf gewundenen wachsbleichen Straßen bergan ziehen. Da ich das europäische Bedürfnis habe, meine Füße zu benutzen, wenn das Fahren nicht unbedingt nötig ist, ging ich gemächlich hinunter und stieß schließlich auf die Radfahrerin - ein reizloses, dickes Mädchen mit Zöpfen, gefolgt von einem mächtigen Bernhardinerhund mit Augen wie Stiefmütterchen. In Kasbeam verpaßte mir ein sehr alter Friseur einen recht mittelmäßigen Haarschnitt: Er brabbelte von einem Sohn, der Baseball spielte, spuckte mir bei jedem Explosivlaut ins Genick, wischte seine Brillengläser hin und wieder an meinem Frisierumhang ab oder unterbrach sein zittriges Scherenwerk, um mir vergilbte Zeitungsausschnitte zu zeigen, und ich war so wenig bei der Sache, daß es mir einen Stoß gab, als er auf ein zwischen den alten, grauen Haarwassern stehendes Photo deutete und ich begriff, daß der schnurrbärtige junge Ballspieler seit dreißig Jahren tot war.
Ich trank eine Tasse heißen, labbrigen Kaffee, kaufte für mein Äffchen ein Büschel Bananen und verbrachte weitere zehn Minuten in einem Delikatessenladen. Es waren bestimmt anderthalb Stunden vergangen, als das heimkehrende Pilgerlein auf der gewundenen Straße hinan zur Kastanienburg erschien.
Das Mädchen, das ich auf dem Weg zur Stadt gesehen hatte, war jetzt mit Wäschestößen beladen und half einem verwachsenen Mann, dessen großer Kopf und grobe Züge mich an die Bertoldo-Figur italienischer Burlesken erinnerten. Sie räumten die Cottages auf, von denen es auf dem Kastanienkamm etwa ein Dutzend gab, alle hübsch im üppigen Grün verteilt. Es war Mittag, und die meisten Cottages waren ihre Bewohner mit einem letzten Klappern ihrer Drahttüren bereits losgeworden. Ein greises, vertrocknetes Ehepaar in einem sehr neuen Auto war im Begriff, aus einer der an jedes Haus angebauten Garagen herauszukriechen; aus einer anderen ragte eine rote Motorhaube wie eine Art Hosenbeutel hervor; und in der Nähe unseres Cottage verstaute ein kräftiger, gutausseihender junger Mann mit schwarzem Haarschopf und blauen Augen einen tragbaren Kühlschrank in seinem Familienwagen. Aus irgendeinem Grund grinste er mich blöde an, als ich vorüberging. Auf dem Rasen gegenüber, im vielgliedrigen Schatten üppiger Bäume,
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