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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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studiert, und dies wäre ein glaubhaftes Beispiel dafür gewesen. Oh, roh und völlig unbarmherzig! Jemand mußte mit diesen Masken von beliebten Scheusalen und Schwachköpfen wohl Geld verdienen. Sah ich am nächsten Morgen zwei kleine Bengel in einem Mülleimer kramen und «Kinnlade» anprobieren? Ich wüßte es gern. Es mag alles auch Zufall gewesen sein - vermutlich der meteorologischen Situation zuzuschreiben.
    Als Mörder mit einem zwar sensationell guten, aber unvollständigen und launischen Gedächtnis kann ich, meine Damen und Herren, das genaue Datum nicht angeben, an dem mir mit unumstößlicher Gewißheit klar wurde, daß das rote Cabrio uns folgte. Hingegen erinnere ich mich an das erste Mal, da ich seinen Fahrer deutlich sah. Eines Nachmittags fuhr ich langsam durch strömenden Regen und hatte immerzu das rote Gespenst vor Augen, das in meinem Rückspiegel schwamm und vor Wollust bebte; und dann wurde die Sintflut zu einem bloßen Geplätscher und hörte schließlich ganz auf. Grelles Sonnenlicht brach durch die Wolken und ergoß sich über den ganzen Highway, und da ich eine neue Sonnenbrille brauchte, hielt ich an einer Tankstelle. Dies alles kam mir vor wie eine Krankheit, ein bösartiger Tumor, gegen den man nichts tun konnte; daher ignorierte ich einfach, daß unser stiller Verfolger, Verdeck zurückgeschlagen, ein Stück hinter uns an einem Café oder einer Bar hielt, die das idiotische Schild trug: Die Tournüre - Dein Prallerwertester. Nachdem ich für die Bedürfnisse meines Wagens gesorgt hatte, ging ich in das Büro, um die Brille zu kaufen und das Benzin zu bezahlen. Als ich im Begriff stand, einen Reisescheck auszufüllen, und mir darüber klarzuwerden suchte, wo genau wir uns befanden, fiel mein Blick durch ein Seitenfenster, und ich sah etwas Schreckliches. Ein ziemlich kahler Mann mit breitem Rücken, in beigefarbenem Sportsakko und dunkelbraunen Hosen hörte Lo zu, die sich aus dem Wagen lehnte und sehr schnell auf ihn einsprach, während ihre Hand mit gespreizten Fingern auf und nieder wippte, wie immer, wenn sie etwas sehr ernst und nachdrücklich vorbrachte. Was mich mit peinigender Wucht traf, war -wie soll ich es nennen? - die beredte Vertraulichkeit, die sie an den Tag legte, ganz als kennten sie sich schon ... ja, seit vielen, vielen Wochen. Ich sah, wie er sich an der Wange kratzte, nickte, sich wegwandte und zu seinem Cabrio zurückging - ein breitschultriger, dicklicher Mann in meinem Alter, der mich an Gustave Trapp erinnerte, einen Schweizer Vetter meines Vaters - das gleiche glatt gebräunte Gesicht, etwas voller als meins, mit einem kleinen schwarzen Schnurrbart und einem degenerierten Rosenknospenmund. Lolita war in eine Straßenkarte vertieft, als ich wieder in den Wagen stieg.
    «Was hat dich der Mann gefragt, Lo?»
    «Welcher Mann? Ach, der Mann, Ach ja. Ach, ich weiß nicht, er wollte wissen, ob ich eine Karte habe. Hat sich wohl verfahren.»
    Wir fuhren weiter, und ich sagte: «Jetzt hör mal zu, Lo. Ich weiß nicht, ob du lügst oder nicht, ich weiß nicht, ob du verrückt bist oder nicht, und es ist mir im Augenblick auch egal; aber dieser Mensch ist uns den ganzen Tag gefolgt, sein Wagen war gestern im Motel, und ich glaube, er ist von der Polizei. Du weißt sehr wohl, was passiert und wo du hinkommst, wenn die Polizei von der Sache Wind bekommt. Ich möchte also genau wissen, was er zu dir gesagt hat und was du ihm geantwortet hast.»
    Sie lachte. «Wenn er wirklich von der Polizei ist», sagte sie schneidend, aber nicht unlogisch, «können wir nichts Schlimmeres tun, als ihm zu zeigen, daß wir Angst haben. Kümmere dich einfach nicht um ihn, ' Pap.»
    «Hat er gefragt, wo wir hinfahren?»
    «Als ob er das nicht wüßte!» (Macht sich über mich lustig.)
    «Jedenfalls habe ich jetzt seine Visage gesehen», sagte ich und gab auf. «Eine Schönheit ist er nicht. Er sieht genau aus wie ein Verwandter von mir, Trapp heißt er.»
    «Vielleicht ist es ja Trapp. An deiner Stelle ... ach, sieh doch mal, all die Neunen im Kilometerzähler, jetzt drehen sie sich alle zusammen weg. Als ich klein war», fuhr sie unerwartet fort, «dachte ich immer, die Nullen würden anhalten und wieder zu Neunen werden, wenn meine Mutter nur bereit wäre, das Auto rückwärts zu fahren.»
    Es war, glaube ich, das erste Mal, daß sie spontan von ihrer vorhumbertischen Kindheit sprach; vielleicht hatte sie diesen Trick beim Theaterspielen gelernt; und schweigend fuhren wir weiter - ohne

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