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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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Verfolger.
    Wie der Schmerz bei einer unheilbaren Krankheit wiederkehrt, sobald die Wirkung des Schmerzmittels und die Hoffnung schwinden, war es am Tag darauf indessen wieder hinter uns, das gleißende rote Biest. Der Verkehr auf der Autostraße war an diesem Tag gering; niemand überholte, und niemand versuchte, sich zwischen unser bescheidenes blaues Auto und dessen anmaßenden roten Schatten zu drängen - ganz als liege ein Bann auf diesem Zwischenraum, als hätte ein Spaßvogel von einem Zauberer diese Zone verhext, die gerade durch ihre Präzision und Beständigkeit etwas Gläsernes hatte, das fast künstlerisch wirkte. Der Fahrer hinter mir mit seinen ausgepolsterten Schultern und seinem trappischen Schnurrbart sah aus wie eine Schaufensterpuppe, und sein Cabriolet schien sich nur deshalb zu bewegen, weil ein unsichtbares und unhörbares Seidenseil es mit unserem schäbigen Vehikel verband. Wir waren so viel schwächer als diese glanzvolle, gelackte Maschine, daß ich nicht einmal den Versuch machte, ihm davonzufahren. 0 lente currite noctis equi! Lauft langsam, o Nachtmähren! Wir erkletterten lange Steigungen und rollten wieder hügelabwärts, hielten uns an Tempolimits, verschonten langsame Kinder, zeichneten mit fließenden Lenkraddrehungen die schwarzen Kurvenkringel auf gelben Schildern nach, und wie und wo wir auch fuhren, der verzauberte Zwischenraum glitt unverändert wie ein mathematisches Trugbild hinter uns her, das straßengebundene Gegenstück zu einem Fliegenden Teppich. Und die ganze Zeit war ich mir des heimlichen Loderns zu meiner Rechten bewußt: ihrer strahlenden Augen, ihrer flammenden Wangen.
    Ein Verkehrspolizist, tief in den Nachtmahr sich kreuzender und querender Straßen verstrickt - um halb fünf nachmittags in einer Fabrikstadt -, war der Handlanger des Schicksals, der den Bann aufhob. Er winkte mir weiterzufahren und schnitt mit der gleichen Hand meinen Schatten ab. Eine Karawane von Wagen schob sich zwischen uns, und ich sauste los und bog gewandt in einen schmalen Nebenweg ein. Ein Spatz mit einer enormen Krume im Schnabel flog auf, wurde von einem anderen angegriffen und verlor die Beute.
    Als ich nach ein paar grimmigen Stopps und einigem wohlbedachten Mäandern wieder auf den Highway gelangte, war unser Schatten verschwunden.
    Lola schnaubte verächtlich und sagte: « Wenn er das ist, wofür du ihn hältst, war es blöde von dir, ihn abzuhängen.»
    «Ich vermute jetzt etwas ganz anderes», sagte ich.
    «Du solltest deine Vorstellungen ... äh ... lieber überprüfen, indem du ... äh ... mit ihm Kontakt hältst,.. teuerster Vati», sagte Lo und aalte sich in ihrem Hohn. «Du bist echt gemein», setzte sie mit ihrer gewöhnlichen Stimme hinzu.
    Wir verbrachten eine scheußliche Nacht in einem üblen Bungalow unter tönenden Regenfällen und prä-historisch lautem Donner, der unaufhörlich über uns hingrollte.
    «Ich bin keine Dame, und ich liebe Blitze nicht», sagte Lo, deren Gewitterangst mir einen armseligen kleinen Trost verschaffte.
    Wir frühstückten in einem Städtchen, dessen Ortsschild «Soda, pop. iooi» lautete.
    «Nach der Ziffer zu urteilen, ist das Dickgesicht bereits hier», bemerkte ich.
    «Dein Witz ist zum Totlachen, teuerster Vati», sagte Lo.
    Mittlerweile waren wir im Land des Sage Brush , und ich verlebte einen oder zwei Tage wunderbarer Erleichterung (ich war ein Narr gewesen, alles war in Ordnung, das Unbehagen war nur eine Blähung), und bald darauf wurden die Tafelberge zu richtigem Gebirge, und wir liefen pünktlich in Wace ein.
    Katastrophe! Ein Versehen war unterlaufen, sie hatte ein Datum im Reiseführer falsch gelesen, und die Tänze in der Magischen Grotte waren vorüber! Sie nahm es tapfer hin, das muß ich zugeben - und als wir entdeckten, daß im kurorthaften Wace ein Sommertheater in Aktion war, trieb es uns an einem schönen Mittjuniabend ganz natürlicherweise dorthin, Beim besten Willen könnte ich Ihnen nicht die Handlung des Stückes erzählen, das wir sahen. Bestimmt eine banale Sache mit prätentiösen Lichteffekten und einer mittelmäßigen Hauptdarstellerin. Das einzige, was mir gefiel, war eine Girlande von sieben kleinen Grazien, die, hübsch geschminkt, mit nackten Armen und Beinen mehr oder weniger unbeweglich dastanden - sieben verträumte halbwüchsige Mädchen in farbigem Tüll, die (nach der parteiischen Aufregung hier und dort unter den Zuschauern zu urteilen) der Ort selber gestellt hatte und die einen lebenden

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