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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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des leicht schiefen Fußbodens und gab fragende Hm-Laute von sich, machte mit den Handgelenken und Händen vertraute javanische Gesten und ließ mir in einem Anfall humoriger Höflichkeit die Wahl zwischen einem Schaukelstuhl und dem Sofa (nach zehn Uhr abends das Ehebett). Ich sage «vertraut», weil sie mich eines Tages mit dem gleichen Handgelenktanz in unser Beardsleyer Wohnzimmer eingeladen hatte, als dort ihre Party stattfand. Wir setzten uns beide auf das Sofa. Seltsam: obgleich ihre Schönheit dahin war, wurde mir erst jetzt, zu so hoffnungslos später Stunde richtig klar, wie sehr sie Botti-cellis rotblonder Venus glich, ihr schon immer geglichen hatte - die gleiche sanfte Nase, die gleiche verschwommene Schönheit. In der Tasche ließen meine Finger sacht die ungebrauchte Waffe los und schoben ihre Mündung etwas tiefer in das Taschentuch, in dem sie nistete.
    «Das ist nicht der Kerl, den ich suche», sagte ich.
    Der diffuse Willkommensblick schwand aus ihren Augen. Wie in den alten, bitteren Zeiten legte sich ihre Stirn in Falten: «Nicht wer?»
    «Wo steckt er? Schnell!»
    «Hör mal», sagte sie, neigte den Kopf zur Seite und schüttelte ihn in dieser Haltung. «Hör mal, du wirst doch nicht davon anfangen.»
    «Allerdings werde ich das», sagte ich, und einen Augenblick lang - merkwürdig genug der einzige barmherzige, erträgliche dieses ganzen Gesprächs - sahen wir einander wütend an, als wäre sie noch immer mein. Als kluges Mädchen beherrschte sie sich.
    Dick wußte nichts von dem ganzen Schlamassel. Er glaubte, ich wäre ihr Vater. Er glaubte, sie sei wohlha-benden Eltern davongelaufen, nur um in einem Restaurant Geschirr zu spülen. Er glaubte alles. Warum wollte ich all den Schmutz wieder aufwühlen und die Dinge noch schwieriger machen, als sie sowieso schon waren?
    Aber, sagte ich, sie müsse vernünftig sein, sie müsse ein vernünftiges Mädchen sein (mit ihrer nackten Trommel unter diesem dünnen braunen Stoff), sie müsse verstehen, daß ich wenigstens einen Überblick über die Lage brauchte, wenn sie von mir die Hilfe erwarte, die sie - dazu sei ich ja gekommen - durchaus haben sollte.
    «Also bitte, seinen Namen!»
    Sie glaubte, ich hätte ihn längst erraten. Es war (mit einem schelmischen und melancholischen Lächeln) ein so sensationeller Name. Ich würde es nie glauben. Sie könne es selber kaum glauben.
    Seinen Namen, meine Herbstnymphe.
    Es sei so unwichtig, sagte sie. Sie glaubte, ich solle das Thema besser fallenlassen. Ob ich eine Zigarette wolle.
    Nein, seinen Namen.
    Sie schüttelte entschlossen den Kopf. Sie glaubte, es sei zu spät, einen Skandal zu machen, und ich würde das unglaublich Unglaubliche ja doch nie glauben.
    Ich sagte, dann ginge ich am besten wieder, Grüße an ihren Mann, nett, sie wiedergesehen zu haben.
    Sie sagte, wirklich, es sei nutzlos, sie würde es nie sagen, aber andererseits, schließlich... «Willst du wirklich wissen, wer es war? Also es war..,»
    Und leise, vertraulich, ihre schmalen Augenbrauen hochziehend und die ausgetrockneten Lippen krausend, gab sie mit leichter Ironie, einer Spur Überheblichkeit, nicht ohne Zärtlichkeit, mit einer Art gedämpftem Pfiff den Namen preis, den der scharfsinnige Leser längst erraten hat.
    Wasserdicht. Warum zuckte ein Blitz vom Hour-glass-See durch mein Bewußtsein? Ohne es zu wissen, hatte auch ich den Namen die ganze Zeit gewußt. Keine Erschütterung, keine Überraschung. Die Fusion erfolgte geräuschlos, und wie in einem Puzzle bekam alles seine Ordnung, arrangierte sich alles zu einem Muster, alle die Verzweigungen, die ich eigens deshalb durch diese Erinnerungen geflochten habe, damit die reife Frucht im rechten Augenblick fallen möge; ja, in der ausdrücklichen und perversen Absicht - sie redete, aber ich hörte nicht zu, versunken in meinen goldenen Frieden -, diesen goldenen und monströsen Frieden wiederzugeben, den mir diese logische Stimmigkeit verschaffte und den jetzt selbst mein feindseligster Leser empfinden sollte.
    Sie redete, wie ich sagte, immer noch. Jetzt war es ein entspannter Redestrom. Er sei der einzige Mann, nach dem sie je verrückt gewesen sei. Und Dick? Ach Dick, der sei ein Schatz, es sei das vollkommene Eheglück, aber sie meine etwas anderes. Und ich hätte natürlich nie gezählt?
    Sie betrachtete mich, als begreife sie auf einmal die unglaubliche-und irgendwie langweilige, verwirrende und unnötige - Tatsache, daß dieser ferne, elegante, schlanke, vierzigjährige,

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