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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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Rita schlief noch fest und tief, als ich diesen Brief las und gegen die Berge von Qual ankämpfte, die er in mir auftürmte. Ich hatte einen Blick auf sie geworfen, wie sie dalag und im Schlaf lächelte, hatte ihre feuchte Stirn geküßt und sie für immer verlassen, mit einem zärtlichen Lebewohlzettel, den ich ihr an den Nabel klebte - sonst hätte sie ihn vielleicht nicht gefunden.
    «Allein» habe ich gesagt? Pas tout äfait. Ich hatte ja meinen kleinen schwarzen Kumpel bei mir, und sobald ich mich an einer einsamen Stelle befand, probte ich Mr. Richard F. Schillers gewaltsamen Tod. Hinten im Wagen hatte ich einen sehr alten, sehr schmutzigen grauen Pullover von mir gefunden, und ihn hängte ich auf einer sprachlosen Lichtung, die ich auf einem Waldweg von der nunmehr fernen Autostraße aus erreicht hatte, an einen Zweig. Die Vollstreckung des Todesurteils war ein wenig beeinträchtigt durch einen mir etwas klemmend vorkommenden Abzug, und ich überlegte, ob ich für das geheimnisvolle Ding nicht etwas Öl besorgen sollte, kam aber zu dem Schluß, daß ich keine Zeit zu verlieren hatte. Mit zusätzlichen Löchern versehen, flog der tote alte Pullover ins Auto zurück, und nachdem ich meinen heißen Kumpel wieder geladen hatte, setzte ich meine Reise fort.
    Der Brief trug das Datum 18. September 1952 (heute war der 22. September), und als Adresse war «Hauptpostlagernd Coalmont» angegeben (nicht Virginia, nicht Pennsylvania, nicht Tennessee - und schon gar nicht Coalmont -, ich habe alles getarnt, meine Liebste). Nachforschungen ergaben, daß es sich um eine kleine Industriestadt rund achthundert Meilen von New York handelte. Zuerst beabsichtigte ich, Tag und Nacht durchzufahren, überlegte es mir dann aber anders und ruhte mich gegen Morgen, ein paar Meilen vor Coalmont, einige Stunden lang in einem Motelzimmer aus. Ich war aus irgendeinem Grunde überzeugt, daß der Teufel, dieser Schiller, ein Gebrauchtwagenhänd-ler war, der meine Lolita vielleicht kennengelernt hatte, als er sie in Beardsley einmal in seinem Wagen mitnahm - an dem Tag, als ihr Rad auf dem Weg zu Miss Empe-reur eine Reifenpanne hatte -, und daß er seitdem in Schwierigkeiten geraten war. Die Leiche des hingerichteten Pullovers, wie immer ich auch seine Konturen dort auf dem Rücksitz des Wagens veränderte, hatte in jeder ihrer Formen an Trapp-Schiller, an die schwere, obszöne Jovialität seines Körpers erinnert, und um diesem groben und lasterhaften Geschmack entgegenzuwirken, beschloß ich, mich besonders proper und adrett zu machen, als ich den Knopf meines Weckers drückte, noch ehe er zur festgesetzten Stunde - sechs Uhr morgens - explodierte. Mit der ernsten und romantischen Sorgfalt eines Herrn, der im Begriff steht, sich zu duellieren, prüfte ich, ob meine Papiere in Ordnung waren, badete und parfümierte meinen zarten Körper, rasierte Gesicht und Brust, zog ein Seidenhemd an, saubere Unterhosen und durchscheinende, maulwurfsgraue Socken und beglückwünschte mich dazu, in meinem Koffer ein paar ganz ausgesucht elegante Dinge zu ha-ben - eine Weste mit Perlmuttknöpfen zum Beispiel, eine blasse Kaschmirkrawatte und so weiter.
    Ich war leider nicht imstande, mein Frühstück bei mir zu behalten, nahm dieses körperliche Phänomen aber als unbedeutendes Mißgeschick, wischte meinen Mund mit einem Batisttaschentuch, das ich nach englischer Sitte aus dem Ärmel zog, ging mit einem blauen Eisblock an der Stelle des Herzens, einer Pille auf der Zunge und einem massiven Tod in der Hüfttasche kurz entschlossen in eine Coalmonter Telephonzelle (ah-ah-ah, machte die kleine Tür) und rief den einzigen Schiller an - Paul, Möbel -, der in dem zerfledderten Buch zu finden war. Der heisere Paul sagte, er kenne einen Richard, den Sohn eines seiner Cousins, und seine Adresse sei, warten Sie mal, 10 Killer Street (ich mache mir keine große Mühe mit meinen Pseudonymen). Ah-ah-ah, machte die kleine Tür.
    Vor 10 Killer Street, einem heruntergekommenen Mietshaus, interviewte ich ein paar bedrückte alte Leute und zwei langhaarige, erdbeerblonde, unglaublich schmutzige Nymphchen (rein theoretisch und nur des Juxes halber war die alte Bestie in mir auf irgendein leicht bekleidetes Kind aus, das ich einen Moment lang an mich drücken könnte, wenn das Morden vorbei war und es auf nichts mehr ankäme und alles erlaubt wäre). Ja, Dick Skiller hatte hier gewohnt, war aber bei seiner Heirat ausgezogen. Niemand kannte seine Adresse. «Die im Laden wissen

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