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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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sie vielleicht», sagte eine Baßstimme aus einem Loch im Bürgersteig, an dem ich mit den beiden dünnarmigen, barfüßigen kleinen Mädchen und ihren undeutlichen Großmüttern stand. Ich ging in den falschen Laden, wo ein argwöhnischer alter Neger den Kopf schüttelte, bevor ich auch nur eine Frage stellen konnte. Ich ging zu einem finsteren Lebensmittelgeschäft hinüber, und auf meine Anfrage, die ein Kunde ihr zuschrie, kam eine Frauenstimme aus einem hölzernen Loch im Fußboden, dem Gegenstück zu dem Bauarbeiterloch, und rief: Jager Road, letztes Haus.
    Die Jager Road war meilenweit entfernt, lag in einem noch elenderen Bezirk, einer Welt von Müll und Morast und wurmigen Gemüsegärten und schiefen Buden und grauem Nieselregen und rotem Schlamm und mehreren rauchenden Schloten in der Ferne. Ich hielt beim letzten «Haus» - einer Bretterbude neben zwei oder drei ihresgleichen, die etwas weiter von der Straße entfernt standen; ringsum braches Gelände und verwelktes Unkraut. Hinter dem Haus hörte man es hämmern, und mehrere Minuten lang saß ich ganz still in meinem alten Wagen, alt und gebrechlich, am Ende meiner Reise angekommen, an meinem grauen Ziel, finis, meine Freunde, finis, meine Feinde. Es war etwa zwei. Mein Puls war in einer Minute vierzig und in der nächsten hundert. Der Nieselregen prasselte leise auf die Motorhaube. Meine Pistole war in die rechte Hosentasche gewandert. Ein Köter mit geschlitzten Augen, den zottigen Bauch verkleistert mit Lehm, kam hinter dem Haus hervor, stutzte, wuffwuffte mich gutartig an, trottete ein wenig weiter und wuffte nochmals.

29
    Ich stieg aus dem Wagen und warf die Tür hinter mir zu. Wie sachlich, wie redlich dieser Knall in der Leere des sonnenlosen Tages klang! «Wuff», kommentierte der Hund nichtssagend. Ich drückte auf den Klingelknopf, es vibrierte durch mein ganzes Nervensystem. Personne, je resonne, repersonne. Aus welchen Tiefen dieser Re-Nonsens? «Wuff», sagte der Hund. Ein Geraschel, ein Geschlurf, und wusch-wuff ging die Tür auf.
    Ein paar Zoll größer. Rosa Brillengestell. Neue, hochgeraffte Frisur, neue Ohren. Wie einfach! Dieser Augenblick, der Tod, den ich drei Jahre lang heraufbeschworen hatte, war so einfach wie ein Stückchen dürres Holz. Sie war ganz offensichtlich und gewaltig schwanger. Ihr Kopf wirkte kleiner (in Wirklichkeit waren erst zwei Sekunden vergangen, aber lassen Sie mich ihnen soviel hölzerne Dauer verleihen, wie das Leben aushalten kann), ihre Sommersprossen waren verblaßt, ihre Wangen eingefallen, und ihre nackten Schienbeine und Arme hatten all ihre Sonnenbräune verloren, so daß die Härchen zu sehen waren. Sie trug ein braunes, ärmelloses Baumwollkleid und schlampige Filzpantoffeln.
    «Na sooo was!» rief sie nach einer Pause mit all dem Nachdruck der Verwunderung und Begrüßung.
    «Der Mann zu Hause?» krächzte ich, Faust in der Tasche.
    Sie konnte ich natürlich nicht töten, wie manche gedacht haben mögen. Ich liebte sie ja. Es war Liebe auf den ersten Blick, auf den letzten Blick, auf jeden Blick.
    «Komm rein», sagte sie mit gewaltsamer Fröhlichkeit. So flach sie nur konnte, drückte sich Dolly Schiller gegen die splitternde morsche Tür, um mich vorbeizulassen, hob sich sogar ein wenig auf die Zehenspitzen und war für eine Sekunde gekreuzigt, den Blick und das Lächeln zur Schwelle gesenkt, hohle Wangen mit runden pommettes , die Arme weiß wie verwässerte Milch gegen das tote Holz gespreizt. Ich ging vorbei, ohne die Wölbung ihres Babys zu berühren. Dolly-Geruch mit einem schwachen Zusatz von Gebratenem. Meine Zähne klapperten wie die eines Idioten. «Nein, du bleibst draußen» (zum Hund). Sie machte die Tür zu und folgte mir und ihrem Bauch in das Puppenstubenwohnzimmer.
    «Dick ist da hinten», sagte sie und lenkte mit einem unsichtbaren Tennisschläger meinen Blick aus dem schäbigen Wohnschlafzimmer, in dem wir standen, quer durch die Küche und durch einen Hintereingang, durch den man eines recht primitiven Anblicks ansichtig wurde: Ein schwarzhaariger junger Unbekannter im Monteurkittel, der augenblicklich begnadigt wurde, stand mit dem Rücken zu mir auf einer Leiter und nagelte etwas an oder auf der Bude seines Nachbarn fest, eines dickeren, einarmigen Burschen, der danebenstand und ihm von unten zusah.
    Mit einem entschuldigenden Seufzer erklärte sie dieses Bild im Rahmen der fernen Tür («Männer sind nun mal so»); sollte sie ihn hereinrufen?
    Nein.
    Sie stand in der Mitte

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