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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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kränkliche Herr in der Samtjacke, der da neben ihr saß, jede Pore und jeden Follikel ihres halbwüchsigen Körpers gekannt und vergöttert hatte. In ihren blaßgrauen, fremdartig bebrillten Augen spiegelte sich sekundenlang unsere arme Liebe wider, wurde abgewogen und verworfen wie eine öde Party, wie ein verregnetes Picknick, zu dem nur die größten Langweiler gekommen waren, wie eine schale und lästige Übung, wie eine Kruste trockenen Schlamms, der ihrer Kindheit anhaftete.
    Knapp gelang es mir, mein Knie mit einem Ruck aus der Reichweite eines angedeuten Klapses zu bringen -eine ihrer neuerworbenen Gesten.
    Sie sagte, ich solle mich nicht so anstellen. Vorbei sei vorbei. Ich sei ein guter Vater gewesen, glaube sie - das billigte sie mir zu. Nur weiter, Dolly Schiller.
    Tja, wußte ich eigentlich, daß er ihre Mutter gekannt hatte? Daß er tatsächlich ein alter Freund der Familie gewesen war? Daß er mit seinem Onkel, dem Zahnarzt, ihre Mutter in Ramsdale besucht und in Mamas Club einen Vortrag gehalten hatte - ach, Vorjahren - und sie, Dolly, an ihrem nackten Arm gezerrt und auf seine Knie gezogen und sie vor aller Augen abgeküßt? Da war sie zehn und hatte eine Stinkwut auf ihn. Wußte ich, daß er sie und mich im Hotel gesehen hatte, wo er an just dem Theaterstück schrieb, das sie zwei Jahre später in Beardsley probten? Wußte ich... Es sei gemein von ihr gewesen, mich glauben zu machen, Cläre sei eine alte Frau - wahrscheinlich eine Verwandte von ihm oder eine vorübergehende Lebensgefährtin -, und ach, dann sei auch noch alles um ein Haar herausgekommen, als das Journal in Wace sein Bild brachte.
    Die Briceland Gazette hatte es nicht gebracht. Ja, sehr komisch.
    Ja, sagte sie, das Leben sei eine Serie von Gags, wenn jemand ihr Leben beschriebe, kein Mensch würde es glauben.
    In diesem Augenblick drangen muntere häusliche Klänge aus der Küche, wo Dick und Bill sich eingefunden hatten, um Bier zu holen. Durch die Tür bemerkten sie den Besucher, und Dick kam ins Wohnzimmer.
    «Dick, das ist mein Papa!» schrie Dolly mit dröhnender forcierter Stimme, die mir völlig fremd und neu und lustig und alt und traurig vorkam, denn der junge Mann, Veteran eines fernen Krieges, war schwerhörig.
    Arktisch blaue Augen, schwarzes Haar, gerötete Wangen, unrasiertes Kinn. Wir gaben uns die Hand. Der diskrete Bill, offenbar stolz darauf, mit nur einer Hand Wunder zu wirken, brachte die Bierdosen herein, die er geöffnet hatte. Wollte sich zurückziehen. Die exquisite Höflichkeit einfacher Leute. Wurde zum Bleiben veranlaßt. Eine Bierreklame. Tatsächlich war es mir lieber so, und den Schillers auch. Selber gierig kauend, nötigte mir Dolly Marshmallows und Kartoffelchips auf. Die Männer betrachteten ihren zarten, fröstelnden, mageren, europäischen, noch ganz jugendlich wirkenden, aber kränkelnden Vater in Samtjacke und beigefarbener Weste, vielleicht ein Graf.
    Sie setzten voraus, daß ich ein paar Tage bei ihnen wohnen wollte, und Dick machte unter mächtigem Stirnrunzeln, das auf schwierige Gedankenarbeit schließen ließ, den Vorschlag, Dolly und er könnten auf einer Matratze in der Küche schlafen. Ich wehrte mit leichter Hand ab und sagte Dolly, die es Dick mit speziell lauter Stimme übermittelte, daß ich auf dem Weg nach Readsburg sei, wo mich ein paar Freunde und Be-wunderer erwarteten, und nur einmal kurz bei ihnen hereingeschaut hätte. Dann fiel plötzlich auf, daß einer der wenigen Daumen, die Bill verblieben waren, blutete (offenbar also doch kein so großer Wunderwerker). Wie fraulich und irgendwie so nie gesehen die schattige Vertiefung zwischen ihren blassen Brüsten wirkte, als sie sich über die Hand des Mannes beugte! Sie brachte ihn zur Reparatur in die Küche. Ein paar Minuten, drei oder vier kleine Ewigkeiten, die von künstlicher Wärme geradezu brodelten, blieben Dick und ich allein. Er saß auf einem Holzstuhl, rieb seine Arme und runzelte weiter die Stirn. Ich spürte den müßigen Drang, die Mitesser auf seinen schwitzenden Nasenflügeln mit meinen langen Achatklauen auszuquetschen. Er hatte nette, traurige Augen mit schönen Wimpern und sehr weiße Zähne. Sein Adamsapfel war groß und behaart. Warum rasieren sie sich nicht besser, diese jungen Muskelprotze? Er und seine Dolly hatten auf der Couch dort wenigstens hundertachtzigmal, wahrscheinlich noch viel öfter, ungehinderten Verkehr gehabt; und davor -wie lange hatten sie sich schon gekannt? Kein Groll. Seltsam - nicht

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