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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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Töchtern und ihren Schoßhunden bei einem ausgelassenen Familiengelage mit seinem Humpen zuprostet und alles Leid vergessen ist. Niemals wird Emma wieder zu sich kommen, wiederbelebt von den mitfühlenden Salzen in der rechtzeitigen Träne von Flauberts Vater. Welche Entwicklung dieser oder jener beliebte Charakter zwischen den Buchdeckeln auch durchmacht, sein Schicksal ist in unseren Köpfen ein für alle Mal besiegelt, und ebenso erwarten wir von unseren Freunden, daß sie dieser oder jener logischen und konventionellen Schablone treu bleiben, auf die wir sie festgelegt haben. Nie wird X die unsterbliche Musik komponieren, die nicht zu den zweitklassigen Symphonien paßt, an die er uns gewöhnt hat. Nie wird Y einen Mord begehen. Unter keinen Umständen wird Z uns je betrügen. In unseren Köpfen ist alles säuberlich zurechtgelegt, und je seltener wir eine bestimmte Person sehen, desto befriedigender ist es, sich davon zu überzeugen, wie gehorsam sie sich an den Begriff hält, den wir uns machen, so oft wir von ihr hören. Jede Abweichung von dem Schicksalsweg, den wir für sie ausgearbeitet haben, empfinden wir nicht nur als unnormal, sondern auch als unmoralisch. Es wäre uns lieber, wir hätten unseren Nach-barn, den Würstchenbudenbesitzer im Ruhestand, nie gekannt, als zu erfahren, daß er gerade die größte Dichtung seiner Zeit hervorgebracht hat.
    Ich sage all dies, um zu erklären, wie sehr mich Far-lows hysterischer Brief bestürzte. Ich wußte, daß seine Frau gestorben war, aber ich hatte mit Bestimmtheit erwartet, daß der untröstliche Witwer für den Rest seines Lebens der gleiche langweilige, gesetzte und zuverlässige Mensch bliebe, der er immer gewesen war. Jetzt schrieb er, er sei nach einem kurzen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten wieder nach Südamerika zurückgekehrt und habe beschlossen, seine sämtlichen Rams-daler Geschäfte dem dort ansässigen Jack Windmuller zu übergeben, einem Anwalt, mit dem wir beide bekannt waren. Es schien ihn besonders zu erleichtern, die Hazeschen «Komplikationen» los zu sein. Er habe eine Spanierin geheiratet. Er habe mit dem Rauchen aufgehört und dreißig Pfund zugenommen. Sie sei sehr jung und Skimeisterin. Sie hätten vor, ihren Honigmonsun in Indien zu verbringen. Da er, wie er sich ausdrückte, «eine Familie zu gründen beabsichtige», habe er für meine Angelegenheiten, die er als «sehr befremdlich und sehr ärgerlich» bezeichnete, künftig keine Zeit mehr. Irgendwelche Leute, die mit Vorliebe ihre Nase in alles stecken - anscheinend ein ganzes Komitee von ihnen -, hätten ihn wissen lassen, der Verbleib der kleinen Dolly Haze sei unbekannt, und ich lebte mit einer notorisch scheidungsfreudigen Frau in Kalifornien. Sein Schwiegervater sei ein Graf und unerhört reich. Die Leute, die das Hazesche Haus für ein paar Jahre gemietet hatten, wollten es jetzt kaufen. Er riet mir, Dolly besser schnellstens aufzutreiben. Er habe sich das Bein gebrochen. Beigelegt war ein Farbphoto, auf dem er und eine braungebrannte Brünette in weißer Wolle einander im Schnee von Chile anstrahlten.
    Ich erinnere mich, daß ich beim Betreten meiner Wohnung gerade sagen wollte: «Na, wenigstens werden wir ihnen nun endlich doch auf die Spur kommen» - als der andere Brief plötzlich mit leiser, sachlicher Stimme zu sprechen anhob:
    Lieber Pappi!
    Wie geht's so? Ich bin verheiratet. Ich erwarte ein Baby. Ich glaube, es wird ein großerJunge. Ich glaube, er wird genau zu Weihnachten kommen. Dieser Brirffällt mir schwer. Ich drehe noch durch, weil wir nicht genug haben, um unsere Schulden zu bezahlen und hier rauszukommen. Dick haben sie einen Topjob in Alaska angeboten, irgendwas ganz Spezielles in seinem Fach als Mechaniker; mehr weiß ich darüber nicht, aber die Aussichten sind wirklich total stark. Entschuldige, daß ich unsere Adresse nicht angebe, aber Du bist vielleicht noch immer sauer auf mich, und Dick soll nichts wissen. Das ist schon eine tolle Stadt hier. Vor lauter Smog sieht man die Deppen nicht. Bitte schick uns einen Scheck, Pappi. Mit drei- oder vierhundert oder sogar weniger könnten wir es schaffen, für jede Summe wär ich dankbar, Du könntest meine alten Sachen verkaufen, weil wenn wir erst mal dort sind, kommt bestimmt Kohle rein. Bitte schreib mir. Ich hab viel Trauriges und Schweres durchgemacht.
    In guter Hoffnung,
    Dolly (Mrs. Richard F. Schiller)

28
    Wieder war ich unterwegs, wieder am Steuer der alten blauen Limousine, wieder allein.

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