Lolita (German)
erzählen...
Q also... alle nannten ihn Q...
So hieß ihr Sommerlager vor fünf Jahren. Komischer Zufall... Brachte sie zu einer feinen Gäste-Ranch, eine Tagesfahrt von Elephant (Elphinstone) entfernt. Name? Ach, irgend so ein Unsinnsname... Dak-Dak-Ranch... Du weißt doch, reiner Unsinn... aber das ist jetzt ja auch egal, da die ganze Chose aufgelöst und verschwunden ist. Wirklich, wollte sie sagen, ich könne mir nicht vorstellen, wie superschick die Ranch war, alles, einfach alles habe es da gegeben, wollte sie sagen, sogar einen Hallen wasserfall. Ob ich mich noch an den Rothaarigen erinnerte, mit dem wir («wir» war gut) einmal Tennis gespielt hatten? Na also, die Ranch habe eigentlich dessen Bruder gehört, aber der hatte sie für den Sommer Q überlassen. Als Q und sie ankamen, hatten die anderen eine richtige Krönungszeremonie veranstaltet und danach eine tolle Wassertaufe - wie wenn man den Äquator überquert. Du weißt schon.
Ihre Augen verdrehten sich in gespielter Schicksalsergebenheit.
«Erzähl bitte weiter.»
Naja. Er habe vorgehabt, sie im September mit nach Hollywood zu nehmen und Probeaufnahmen von ihr machen zu lassen, für eine winzige Rolle in der Tennismatch-Szene des Films, den sie da nach seinem Stück Goldenes Gedärm drehten - und sie vielleicht sogar eins seiner sagenhaften Starlets auf dem Tennisplatz dou-beln zu lassen, unter dem Licht der Jupiterlampen. Leider sei dann nichts draus geworden.
«Wo ist das Schwein jetzt?»
Er war kein Schwein. Er war in vieler Hinsicht ein toller Mensch. Aber das Saufen und das Rauschgift. Und in allem Sexuellen natürlich total pervers, und seine Freunde waren seine Sklaven. Ich könne mir nicht vorstellen (ich, Humbert, nicht vorstellen!), was für Sachen sie auf der Dak-Dak-Ranch alles getrieben hätten. Sie habe sich geweigert mitzumachen, denn sie liebte ihn ja, und er habe sie rausgeworfen.
«Was für Sachen?»
«Ach, irre, dreckige, bizarre Sachen. Ich meine, er hatte zwei Mädchen und zwei Jungs oder drei oder vier Männer, und wir sollten alle nackt miteinander rum-machen, während eine alte Frau das filmte.» (Sades Justine war zwölf, als sie anfing.)
«Was für Sachen genau?»
«Naja, eben so Sachen... Naja, ich.,. Wirklich, ich...» Sie brachte das «Ich» wie einen unterdrückten Schrei heraus, während sie der Quelle ihres Leides lauschte, und spreizte in Ermangelung der Worte die fünf Finger ihrer auf und nieder zuckenden Hand. Nein, sie gebe auf, sie weigere sich, auf Einzelheiten einzugehen mit dem Baby im Leib.
Das ergab Sinn.
«Jetzt spielt es keine Rolle mehr», sagte sie, schlug mit der Faust auf ein graues Kissen und legte sich, Bauch hoch, auf das Sofa. «Verrückte Sachen, dreckige Sachen. Ich habe nein gesagt, ich denke nicht daran, deine viehischen Jungs zu... [sie bediente sich ganz unbekümmert eines ekelhaften Slangworts, das in wörtlicher französischer Ubersetzung souffler hieße], denn ich will nur dich. Naja, da hat er mich rausgeschmissen.»
Viel mehr gab es nicht zu erzählen. In jenem Winter, 1949, hatten Fay und sie Arbeit gefunden. Fast zwei Jahre lang war sie... naja, einfach so herumgezogen, naja, hatte sie in kleinen Orten in Restaurants gejobbt, und dann habe sie eben Dick kennengelernt. Nein, sie wisse nicht, wo der andere sei. Irgendwo in New York, glaube sie. Natürlich, er war so berühmt, daß sie ihn sofort ausfindig gemacht hätte, hätte sie es gewollt. Fay habe versucht, zu der Ranch zurückzukehren, aber die war einfach nicht mehr vorhanden - bis auf die Grundmauern abgebrannt, nichts davon übrig, nur ein verkohlter Schutthaufen. Es war so seltsam, so seltsam...
Sie schloß die Augen und öffnete den Mund, aufs Kissen zurückgelehnt, einen Filzfuß auf der Erde. Die Holzdielen fielen schräg ab, eine kleine Stahlkugel wäre in die Küche gerollt. Ich wußte alles, was ich wissen wollte. Ich hatte nicht die Absicht, meine Liebste zu quälen. Irgendwo hinter Bills Bretterbude hatte ein Feierabendradio angefangen, von Leidenschaft ohne Maß und Hoffnung zu singen, und da lag sie mit ihrem ruinierten Aussehen, ihren erwachsenen schmalen Händen mit den dicken Adern, ihren weißen Gänsehautarmen, ihren flachen Ohren und unrasierten Achselhöhlen, da lag sie (meine Lolita!), hoffnungslos verbraucht mit siebzehn, mit diesem Baby, das in ihr bereits davon träumte, eine große Nummer zu werden und sich im Jahre 2020 nach Christi Geburt zur Ruhe zu setzen - und ich konnte mich nicht
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