Lolita (German)
sattsehen an ihr, und so genau, wie ich wußte, daß ich sterben müsse, wußte ich auch, daß ich sie mehr liebte als alles, was ich auf Erden je gesehen oder vorgestellt oder mir irgendwo erhofft hatte. Sie war nur noch das schwache Echo - Veilchenhauch und Herbstlaub - des Nymphchens, auf dem ich mich früher schreiend gewälzt hatte; ein Echo am Rande eines rostroten Abgrunds, mit einem fernen Wald unter weißem Himmel und braunen Blättern, die den Bach verstopfen, und einer letzten Grille im knisternden Unkraut... aber Gott sei's gedankt, es war nicht nur dies Echo, das ich anbetete. Was ich früher unter den wirren Reben meines Herzens gehätschelt hatte, mon grand péché radieux, war auf seine Substanz zusammengeschrumpft: Alles das, dies ganze sterile und selbstsüchtige Laster, ich verwarf und verfluchte es. Sie können mich verhöhnen, Sie können drohen, den Gerichtssaal räumen zu lassen, aber bis ich geknebelt und halb erdrosselt bin, werde ich meine armselige Wahrheit hinausschreien. Ich bestehe darauf, daß die Welt weiß, wie sehr ich meine Lolita liebte, diese Lolita, blaß und besudelt, mit eines anderen Kind unterm Herzen, aber immer noch grauäugig, noch rußbewimpert, noch rotbraun und mandelweiß, noch Carmencita, noch mein; changeons de vie, ma Carmen, allons vivre quelque part où nous ne serons jamais séparés; Ohio? die Wildnis von Massachusetts? Einerlei, sogar wenn diese ihre Augen kurzsichtig wie Fische würden und ihre Brustknospen schwöllen und aufsprängen und ihr berückendes, junges, samtzartes Delta befleckt und von Geburten zerrissen wäre - auch dann noch wäre ich wahnsinnig vor Zärtlichkeit beim bloßen Anblick deines lieben blassen Gesichts, beim bloßen Klang deiner rauhen jungen Stimme, meine Lolita.
«Lolita», sagte ich, «es mag keinen Sinn haben, aber ich muß es sagen. Das Leben ist sehr kurz. Von hier bis zu dem alten Wagen, den du so gut kennst, sind es zwanzig, dreißig Schritt. Es ist ein sehr kurzer Weg. Geh die dreißig Schritte. Jetzt. Gleich. Komm, wie du bist. Und wir werden von nun an immer glücklich sein. »
Carmen, voulez-vous venir avec moi?
«Du meinst», sagte sie, öffnete die Augen und hob sich ein wenig an (die Schlange, die zustoßen könnte), «du meinst, du willst uns [uns!] das Geld nur geben, wenn ich mit dir in ein Motel gehe? Meinst du das}»
«Nein», sagte ich. «Du hast mich ganz falsch verstanden. Ich möchte, daß du deinen zufälligen Dick und dies schreckliche Loch verläßt und zu mir kommst, mit mir lebst und stirbst und alles mit mir.» (Worte in diesem Sinn.)
«Du bist verrückt», sagte sie, und es arbeitete in ihrem Gesicht.
«Überleg es dir, Lolita. Es sind keine Bedingungen daran geknüpft. Höchstens... aber das ist nicht weiter wichtig.» (Eine Gnadenfrist, hatte ich sagen wollen, tat es aber nicht.) «Auf alle Fälle, auch wenn du ablehnst, bekommst du dein... trousseau.»
«Echt?» fragte Dolly.
Ich reichte ihr einen Umschlag mit vierhundert Dollar in Scheinen und einem Scheck über weitere dreitausendsechshundert.
Zögernd, unsicher nahm sie mon petit cadeau in Empfang; und dann überzog ein schönes Rosa ihre Stirn, «Du meinst», sagte sie mit gequältem Nachdruck, «du gibst uns vier Riesen?» Ich bedeckte mein Gesicht mit der Hand und brach in die heißesten Tränen meines Lebens aus. Ich fühlte, wie sie durch meine Finger rannen, am Kinn entlang, und wie sie brannten, und meine Nase verstopfte sich, und ich konnte nicht innehalten, und dann berührte sie mein Handgelenk.
«Ich sterbe, wenn du mich anrührst», sagte ich. «Bist du ganz sicher, daß du nicht mitkommst? Ist keine Hoffnung, daß du mitkommst? Sag mir nur dies eine.»
«Nein», sagte sie. «Nein, Lieber, nein.»
Sie hatte mich noch nie «Lieber» genannt.
«Nein», sagte sie, «es kommt nicht in Frage. Eher würde ich zu Q zurückgehen. Ich meine...»
Sie suchte nach Worten. Ich lieferte sie im Geiste. («Er hat mein Herz gebrochen. Du hast nur mein Leben zerbrochen.»)
«Ich finde», fuhr sie fort - «ups!» - der Umschlag war auf die Erde geglitten - sie hob ihn auf-, «ich finde es... also einfach super von dir, uns diese Knete zu geben. Damit geht alles, in Ordnung, wir können nächste Woche los. Bitte hör doch auf zu weinen. Du mußt es doch verstehen. Ich hole dir noch ein Bier. Ach, wein doch nicht, es tut mir so leid, daß ich dich so oft angeschwindelt habe, aber jetzt ist nichts mehr dran zu ändern.»
Ich wischte Gesicht
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