Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
Vom Netzwerk:
erkannte ich das winzige dunkelbraune Muttermal an ihrer Seite. Mit Ehrfurcht und Entzücken (der König weint vor Freude, es blasen die Trompeten, die Amme ist betrunken) erblicke ich wieder ihren holden eingezogenen Bauch, wo einst mein südwärts segelnder Mund kurz verweilte, und die knabenhaften Hüften, an denen ich den gezackten Abdruck küßte, den das Gummiband ihrer Shorts hinterlassen hatte - an jenem letzten, unvergeßlichen Tag hinter den «Roches Roses». Die fünfundzwanzig Jahre, die ich seitdem durchlebt hatte, liefen in einer zitternden Spitze zusammen und entschwanden.
    Es bereitet mir die größte Schwierigkeit, dies Aufleuchten, dies Erschauern, diesen Schock leidenschaftlichen Wiedererkennens mit angemessener Kraft zu schildern. In dem flüchtigen, sonnendurchschossenen Moment, als mein Blick über das kniende Kind glitt (ihre Augen blinzelten über die strengen schwarzen Brillengläser hinweg - der kleine Onkel Doktor, der mich von all meinen Schmerzen heilen sollte), während ich in meiner Verkleidung als Erwachsener (ein männliches Prachtexemplar aus dem Filmland) an ihr vorüberging, gelang es dem Vakuum meiner Seele, jede Einzelheit ihrer frischen strahlenden Schönheit in sich aufzusaugen und an den Zügen meiner toten Braut zu messen. Etwas später natürlich hatte sie, diese nouvelle, diese Lolita, meine Lolita, ihr Urbild völlig verdunkelt. Ich will nur eines unterstreichen, nämlich daß ihre Entdeckung für mich die schicksalhafte Konsequenz jenes «Prinzenreichs am Meer» aus meiner gemarterten Vergangenheit bildete. Alles, was zwischen den beiden Begebenheiten lag, war eine Reihe von tastenden Tölpeleien und verfehlten Ansätzen zum Glück. Alles, was ihnen gemeinsam war, ergab eine Einheit.
    Ich machte mir jedoch keine Illusionen. Meine Rieh-ter werden alles dies als die Verstellungen eines Verrückten betrachten, der schlicht und einfach Are fruit vert liebt. Au fond ça m'est bien égal. Ich weiß nur, daß meine Knie, als die Haze und ich die Stufen in den atemlosen Garten hinabgingen, wie Spiegelungen von Knien in gekräuseltem Wasser waren und meine Lippen wie Meeressand und ...
    «Das war meine Lo», sagte sie, «und dies sind meine Lilien. »
    «Ja», sagte ich, «ja. Sie sind herrlich, herrlich, herrlich!»

11
    Beweisstück Nummer zwei ist ein in Kunstleder gebundener Taschenkalender mit einem goldenen Jahr, 1947, das im Treppensatz in der oberen linken Ecke steht. Ich beschreibe dieses adrette Erzeugnis der Firma Blank Blank Co., Blankton, Mass., als läge es wirklich vor mir. In Wirklichkeit wurde es vor fünf Jahren vernichtet, und was wir heute (mit freundlicher Unterstützung eines photographischen Gedächtnisses) in Augenschein nehmen, das ist nur seine kurzfristige Materialisierung, ein schwächlicher, nicht flügger Phönix.
    Ich besinne mich so genau auf dieses Tagebuch, weil ich es buchstäblich zweimal schrieb. Mit Bleistift warf ich jede Eintragung zunächst (mit vielen Ausradierungen und Verbesserungen) auf etwas, das im Papierhandel «Schreibmaschinenblock» heißt; dann übertrug ich sie, mit offensichtlichen Abkürzungen, mit meiner winzigsten, satanischsten Handschrift in das eben erwähnte kleine schwarze Buch.
    Der 30. Mai ist in New Hampshire ein gesetzlicher Feiertag, nicht aber in Nord- und Süd-Carolina. An diesem Tag sah Ramsdale sich gezwungen, wegen einer «abdominalen Grippe» (was immer das sein mag) die Schulen den Sommer über zu schließen. Der Leser kann die Wetterberichte von 1947 im Ramsdaler Journal nachprüfen. Ein paar Tage davor zog ich in das Hazesche Haus, und das kleine Tagebuch, das ich jetzt durchzugehen vorschlage (ganz wie ein Spion, der auswendig den Wortlaut des Zettels hersagt, den er verschluckt hat), umfaßt den größten Teil des Juni.
    Donnerstag. Sehr warmer Tag. Von einer günstigen Stelle aus (Badezimmerfenster) beobachtet, wie Dolores im apfelgrünen Licht hinter dem Haus Sachen von der Wäscheleine nahm. Hinausgeschlendert. Sie trug ein kariertes Hemd, Bluejeans und Leinenschuhe. Jede Bewegung, die sie in den Sonnensprenkeln machte, zupfte an der geheimsten Saite meines infamen Körpers. Nach einer Weile setzte sie sich neben mich auf die unterste Stufe der hinteren Veranda und fing an, mit ihren Füßen Kiesel hochzuheben - Kiesel, großer Gott! -, dann die gewölbte Scherbe einer Milchflasche, die wie eine gefletschte Lippe aussah, und sie gegen eine Konservenbüchse zu schleudern. Ping. Ein zweites Mal kannst

Weitere Kostenlose Bücher