Lolita (German)
Mädchen verkleiden, als die hagere Mademoiselle Humbert, und mein Zelt am Rande von Camp Q aufschlagen in der Hoffnung, daß seine gebräunten Nymphchen rufen: «Wir wollen das Flüchtlingsmädchen mit der tiefen Stimme bei uns aufnehmen», und die traurige, schüchtern lächelnde Berthe au Grand Pied an die offene Feuerstelle ziehen. Bei Dolores Haze soll Berthe schlafen!
Müßige, dürre Träume! Zwei Monate der Schönheit, zwei Monate der Zärtlichkeit wären für immer vergeudet, und ich konnte nichts dagegen tun, aber auch gar nichts, maisrien.
Ein Tropfen erlesenen Honigs aber war im Eichelbecher jenes Donnerstags doch enthalten. Die Haze sollte sie früh am Morgen ins Camp fahren. Als allerlei Aufbruchsgeräusche zu mir drangen, rollte ich aus dem Bett und lehnte mich aus dem Fenster. Unter den Pappeln puckerte schon das Auto. Auf dem Bürgersteig stand Louise und beschattete die Augen mit der Hand, als führe die kleine Reisende bereits der aufsteigenden Morgensonne entgegen. Die Geste erwies sich als verfrüht. «Beeil dich!» schrie die Haze. Meine Lolita, die schon halb im Auto und im Begriff war, den Schlag zu-zuschmettern, die Fensterscheibe herunterzukurbeln, Louise und den Pappeln zuzuwinken (die sie beide nie wiedersehen sollte), unterbrach den Lauf des Schicksals: Sie blickte herauf - und raste ins Haus zurück (die Haze rief wütend hinter ihr her). Einen Augenblick später hörte ich meinen Schatz die Treppe emporrennen. Mein Herz dehnte sich mit solcher Gewalt, daß es mich beinah auslöschte. Ich zog meine Pyjamahose hoch und riß die Tür auf: Im gleichen Augenblick kam Lolita oben an, in ihrem Sonntagskleid, stampfend, keuchend, und dann war sie in meinen Armen, ihr unschuldiger Mund schmolz unter dem wilden Druck dunkler männlicher Kiefer, mein bebender Liebling! Gleich darauf hörte ich sie - unversehrt, nicht vergewaltigt - die Treppe hinunterklappern. Das Schicksal nahm seinen Lauf wieder auf. Das blonde Bein wurde eingezogen, die Wagentür zugeschlagen - nochmals zugeschlagen -, und mit wallenden gummiroten Lippen, denen ein wütender, unhörbarer Redeschwall entfuhr, schwenkte die Chauffeuse Haze am heftigen Steuer meinen Liebling hinweg, während unbemerkt von ihnen und von Louise die kranke alte Miss Visavis schwach, aber rhythmisch von ihrer weinumrankten Veranda aus winkewinke machte.
16
Die Höhlung meiner Hand war noch elfenbeinvoll von Lolita - voll des Gefühls ihres voradoleszent geschwungenen Rückens, des gleitenden Gefühls ihrer elbenbeinglatten Haut unter dem dünnen Kleid, das ich hinauf- und hinabgeschoben hatte, als ich sie umfaßt hielt. Ich ging in ihr unaufgeräumtes Zimmer, riß die Tür des Wandschranks auf und tauchte in einen Haufen zerkrumpelter Sachen, die mit ihr in Berührung gewesen waren. Vor allem war da ein rosa Stoff, dünn, löchrig, mit einem schwach herben Geruch am Saum. Ich wickelte Humberts riesiges pralles Herz darin ein. Ein schmerzvolles Chaos stieg in mir auf -aber ich mußte die Sachen fallen lassen und schleunigst meine Fassung wiedergewinnen, als ich die samtene Stimme der Haushälterin vernahm, die mich von der Treppe her leise rief. Sie habe eine Bestellung für mich, sagte sie; und als Antwort auf mein mechanisches «Danke» sagte die gute Louise ein freundliches «Gern geschehen» und legte einen unfrankierten, merkwürdig sauber aussehenden Brief in meine zitternde Hand.
Dies ist ein Geständnis: Ich liebe Sie [so hob der Brief an; und einen verdrehten Augenblick lang hielt ich seine hysterischen Krakeln für die Klaue eines Schulmädchens]. Vorigen Sonntag in der Kirche - Sie Böser, daß Sie es ablehnten, sich unsere schönen neuen Fenster anzusehen! -, erst vorigen Sonntag, mein Lieber, als ich unsern Heiland befragte, was ich dagegen tun könne, bekam ich die Antwort, ich solle tun, was ich jetzt tue. Verstehen Sie, es bleibt mir keine andere Wahl. Ich habe Sie von dem Augenblick an geliebt, als ich Sie zum ersten Mal sah. Ich bin eine leidenschaftliche und einsame Frau, und Sie sind die Liebe meines Lebens.
Jetzt, mein Liebster, Liebster, mon cher, cher Monsieur, haben Sie dies gelesen; jetzt wissen Sie Bescheid. Wollen Sie also bitte unverzüglich Ihre Sachen packen und verschwinden. Dies ist ein Befehl Ihrer Wirtin. Ich kündige einem Mieter. Ich werfe Sie raus. Gehen Sie! Packen Sie sich! Départez! Ich bin zur Abendessenszeit zurück, wenn ich hin und zurück achtzig fahre und keinen Unfall baue (aber was würde das
Weitere Kostenlose Bücher