Lolita (German)

zwischen Vater und Tochter unterstützen, da sie begreift - entschuldige den kitschigen Stil —, daß das Mädchen sich sein Liebes- und Männerideal aus der Bindung an ihren Vater bildet. Nun, welche Bindung meint das muntere Buch? Welche empfiehlt es? Ich zitiere wieder: Sizilianer nehmen sexuelle Beziehungen zwischen Vater und Tochter als selbstverständlich hin, und das Mädchen, das an solchen Beziehungen teilhat, wird von der Gesellschaft, der es angehört, nicht mit Mißbilligung angesehen. Ich hege eine große Bewunderung für die Sizilianer, es sind erstklassige Sportler, erstklassige Musiker, ein erstklassiges, aufrechtes Völkchen, Lo, und hervorragende Liebhaber. Aber schweifen wir nicht ab. Erst neulich lasen wir in der Zeitung irgendwelchen Mumpitz über einen Sittlichkeitsverbrecher in mittleren Jahren, der sich für schuldig erklärte, gegen den Mann Act verstoßen und ein neunjähriges Mädchen zu unmoralischen Zwecken, was immer das sein mag, über die Staatengrenze geschafft zu haben. Dolores, mein Liebling! Du bist nicht neun, sondern fast dreizehn, und ich möchte dir nicht raten, dich als meine interstaatliche Sklavin zu betrachten, und ich mißbillige den Mann Act , weil er sich zu einem gräßlichen Kalauer hergibt - die Rache der Semantikgötter an Philistern mit fest geschlossenen Hosenschlitzen. Ich bin dein Vater, und ich rede wie ein Mensch, und ich liebe dich.
    Zum Schluß laß uns doch mal sehen, was passiert, wenn du, eine Minderjährige, die angeklagt ist, in einem anständigen Hotel einen Erwachsenen sittlich verdorben zu haben, was also passiert, wenn du dich bei der Polizei beschwerst, ich hätte dich verschleppt und vergewaltigt. Wir wollen einmal annehmen, sie schenken dir Glauben. Eine Minderjährige, die einer Person über einundzwanzig erlaubt, geschlechtlich mit ihr zu verkehren, verwickelt ihr Opfer laut Gesetz in Notzucht oder widernatürliche Unzucht zweiten Grades, je nach der Technik; und die Höchststrafe beträgt zehn Jahre. Ich komme also ins Gefängnis. Okay. Ich komme ins Gefängnis. Was aber wird aus dir, meine Waise? Nun, du hast mehr Glück. Du wirst Mündel des Fürsorgeamts, was, fürchte ich, einen etwas düsteren  Klang hat. Eine nette, grimmige Frau vom Typ Miss Phalens, aber strenger und keine Trinkerin, wird dir deinen Lippenstift und deine hübschen Kleider wegnehmen. Herumtreiben gibt's dann nicht mehr. Ich weiß nicht, ob du je von den Gesetzen gehört hast, die zum Heil erziehungsbedürftiger, verwahrloster, unverbesserlicher und krimineller Jugendlicher erlassen sind. Während ich Eisenstäbe umklammere, wird dir, glückliches verwahrlostes Kind, die Wahl zwischen verschiedenen Wohnstätten gelassen, die einander alle mehr oder weniger gleichen: der Disziplinarschule, der Besserungsanstalt, dem Heim für Schwererziehbare oder dem bewundernswerten Asyl, wo du strickst und Choräle singst und sonntags ranzige Pfannkuchen essen darfst. Dorthin wirst du kommen, Lolita - meine Lolita, diese Lolita wird ihren Catull verlassen und dorthin kommen, denn sie ist ein verwahrlostes Mädchen. Einfacher gesagt, wenn wir beide ertappt werden, wirst du analysiert und eingelocht, mein Kätzchen, c'est tout. Du wirst, meine Lolita wird mit neununddreißig anderen (komm her, meine braune Blume) mit neununddreißig anderen dummen Dingern unter der Aufsicht schrecklicher Hexen in einem dreckigen Schlafsaal hausen (nein, erlaube bitte). So ist die Lage, du kannst wählen. Glaubst du nicht, daß Dolores Haze unter diesen Umständen lieber ihrem alten Papi treu bleiben sollte?»
    Alles dies bleute ich ihr ein und erreichte so, Lo angst zu machen, Lo, die trotz einer gewissen kecken Lebendigkeit des Wesens und gelegentlichen Ausbrüchen von Witzigkeit kein so intelligentes Kind war, wie man aus ihrem IQ hätte schließen sollen. Aber wenn ich solchermaßen auch erreichte, eine gemeinsame Basis geteilter Geheimhaltung und geteilter Schuld herzustellen, hatte ich viel weniger Erfolg bei meinen Bemühungen, sie bei guter Laune zu halten. Während der zwölf Monate unserer Reisen mußte ich mir jeden Morgen einen neuen Köder ausdenken, irgend etwas Besonderes in Raum und Zeit, dem sie entgegenblicken konnte, damit sie es bis zum Schlafengehen aushielt. Eines formenden und tragenden Ziels beraubt, sackte das Skelett ihres Tages in sich zusammen. Das gesetzte Ziel konnte alles mögliche sein - ein Leuchtturm in Virginia, eine in ein Café umgewandelte Felsenhöhle in Arkansas,