Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
Vom Netzwerk:
eine Sammlung von Gewehren und Geigen irgendwo in Oklahoma, eine Nachbildung der Grotte von Lourdes in Louisiana, armselige Photos aus der Bonanzazeit des Bergbaus im Heimatmuseum eines Ferienorts in den Rocky Mountains oder was auch immer - aber es mußte vorhanden sein, vor uns, wie ein Fixstern, obgleich es ebensogut vorkommen konnte, daß sie tat, als müßte sie sich übergeben, sobald wir da waren.
    Ich setzte also die Geographie der Vereinigten Staaten in Bewegung und tat so Stunden um Stunden lang mein Bestes, Lolita den Eindruck zu vermitteln, wir «unternähmen» etwas, führen einem bestimmten Ziel, einer ungewöhnlichen Freude entgegen. Ich habe nie so glatte liebenswürdige Landstraßen gesehen wie jene, die vor uns über den verrückten Quilt der achtundvierzig Staaten hinstrahlten. Gefräßig verschlangen wir diese endlosen Fernstraßen, glitten in entrücktem Schweigen über ihre glänzend schwarzen Tanzböden. Nicht nur hatte Lo kein Auge für die Natur, sie sträubte sich auch empört dagegen, daß ich ihre Aufmerksamkeit auf diese oder jene entzückende Einzelheit der Landschaft lenkte; welchselbe ich meinerseits erst wahrzunehmen lernte, nachdem ich eine ganze Weile der erlesenen Schönheit ausgesetzt war, die am Rande unserer unwürdigen Fahrt immer vorhanden war. Infolge eines Paradoxons des bildhaften Denkens bereitete mir die durchschnittliche Landschaft der nordamerikanischen Ebene einen Schock belustigten Wiedererkennens: Sie war mir von den buntbedruckten Wachstüchern her vertraut, die in früheren Zeiten aus Amerika importiert wurden, um an der Wand hinter den Waschtischen mitteleuropäischer Kinderzimmer aufgehängt zu werden, und die ein müdes Kind zur Schlafenszeit mit ihren ländlich grünen Motiven gefangennahmen - dichte krause Bäume, eine Scheune, Vieh, ein Bach, das stumpfe Weiß verschwimmender Obstblüte und vielleicht eine Steinmauer oder ein Hügel in grünlicher Gouache. Aber je näher ich sie kennenlernte, desto fremder wurden die Vorbilder jener elementaren Ländlichkeit meinen Augen. Jenseits der bestellten Felder, jenseits der Spielzeugdächer breitete sich langsam eine nutzlose Lieblichkeit aus, eine tiefstehende Sonne in einem Platindunst mit einem warmen Ton wie von geschälten Pfirsichen, die den oberen Rand einer zweidimensionalen taubengrauen Wolke durchdrang und sich im fernen romantischen Nebel verlor. Vielleicht hob sich eine Baumreihe als Silhouette gegen den Horizont, hingen stille Mittage über weiten Feldern voll blühenden Klees, waren in ein verschwimmendes Azurblau ferne Claude-Lorrain-Wolken gezeichnet, von denen nur der Cumulusteil sich von dem unbestimmten und ohnmächtigen Hintergrund abhob. Oder vielleicht war es auch ein strenger El-Greco-Horizont, trächtig von tintigem Regen, und ein flüchtiger Blick auf einen Farmer mit Schrumpelnacken und ringsumher abwechselnd Streifen von Quecksilberwasser und grellgrünem Mais, und das ganze Ensemble öffnete sich wie ein Fächer, irgendwo in Kansas.
    Ab und an kamen in der Weite dieser Ebenen riesige Bäume auf uns zu, um sich befangen am Straßenrand zusammenzudrängen und ein wenig wohltätigen Schatten über einen sonnenfleckigen Picknicktisch zu breiten, in dessen Nähe plattgedrückte Pappbecher, Flügelfrüchte und weggeworfene Eisstiele auf der braunen Erde umherlagen. Als fleißige Benutzerin von Straßentoiletten war meine gar nicht heikle Lo bezaubert von Schildern wie «Jungs - Mädels», «Adam - Eva», «Jack-Jill» und sogar «Böcke - Rehe»; während ich, in einen Künstlertraum versunken, die redliche Buntheit des Tankstellenzubehörs vor dem herrlichen Grün der Eichen anstarrte oder einen fernen Hügel, der sich -genarbt, doch ungezähmt - aus der Ackerbauwildnis erhob, die ihn zu verschlingen suchte.
    Nachts ragten hohe, wie entsetzliche, riesenhafte Weihnachtsbäume über und über mit farbigen Lichtern bestückte Lastwagen drohend ins Dunkel und donnerten an der verspäteten kleinen Limousine vorbei. Und am nächsten Tag dann wieder schmolz ein dünn besiedelter Himmel über uns, verlor sein Blau an die Hitze, und Lo jammerte nach einem Getränk, und ihre Wangen höhlten sich kräftig über dem Strohhalm, und wenn wir wieder in den Wagen stiegen, war es darin heiß wie in einem Backofen, und die Straße vor uns schimmerte, ein Auto in der Ferne veränderte im Flimmern über dem Erdboden seine Umrisse wie eine Luftspiegelung und schwebte sekundenlang, altmodisch viereckig und hoch, im

Weitere Kostenlose Bücher