Lolita (German)
Mahlzeiten, Barbecues im Freien - was in meiner Vorstellung jedoch scheußliche Visionen von übelriechenden Schuljungen in Sweatshirts heraufbeschwor, die ihre lagerfeuerroten Gesichter gegen Lolitas preßten, während der arme Dr. Humbert nichts als zwei männliche Knie zu umarmen hatte und auf einem feuchten Rasen seine Hämorrhoiden kühlte. Äußerst verlockend fand sie auch die «kolonialen» Gasthöfe, die außer «gepflegter Atmosphäre» und Panoramafenstern auch «leckeres Essen in unbegrenzter Menge» versprachen. Liebevoll gehegte Erinnerungen an den Hotelpalast meines Vaters ließen manchmal den Wunsch in mir aufkommen, in dem seltsamen Land, das wir durchreisten, etwas Ähnliches ausfindig zu machen. Ich gab es bald auf; aber Lo blieb immer der kulinarischen Reklame auf der Spur, während ich ein nicht nur finanzielles Vergnügen an Straßentafeln hatte wie «Hotel Waldesruh, Kinder unter vierzehn frei». Andererseits schaudert's mich bei der Erinnerung an das soi-disant «erstklassige» Ferienhotel in einem Staat im Mittelwesten, das mit« Sie dürfen nachts den Eisschrank plündern» warb und, von meinem Akzent neugierig gemacht, die Mädchennamen meiner verstorbenen Frau und verstorbenen Mutter zu erfahren wünschte. Für zwei Tage knöpften sie mir dort hundertvierundzwanzig Dollar ab! Und erinnerst du dich, Miranda, an die andere «ultraschicke» Räuberhöhle mit Gratismorgenkaffee und Eiswasser aus der Leitung, wo sie keine Kinder unter sechzehn wollten (keine Lolitas)?
Kaum waren wir in einem der einfacheren Motels angekommen, die unser gewohnter Unterschlupf geworden waren, da brachte sie auch schon den elektrischen Ventilator zum Schwirren, bewog mich dazu, einen Vierteldollar ins Radio zu stecken, oder machte sich daran, alle Verlautbarungen zu lesen und quengelnd zu fragen, warum sie nicht an dem annoncierten Ausritt in die Berge teilnehmen oder zum Schwimmen in das am Ort befindliche warme Mineralbad gehen dürfe. Sehr häufig warf sie sich in der latschigen, gelangweilten Manier, die sie sich angewöhnt hatte, der Länge nach und abscheulich begehrenswert in einen roten Sprungfederstuhl oder, unter einem Sonnenschirm auf der Terrasse, auf eine grüne Chaiselongue oder einen Deckstuhl aus gestreiftem Leinen mit Fußstütze und Baldachin oder in eine Hollywood-Schaukel oder auf irgendeinen anderen Gartenstuhl, und es bedurfte stundenlanger Schmeicheleien, Drohungen und Versprechungen, damit sie mir in der Verschwiegenheit des Fünf-Dollar-Zimmers ein paar Minuten lang ihre braunen Glieder lieh, bevor sie etwas unternahm, das sie meinen armseligen Freuden vorzog.
Ein Gemisch aus Naivität und Verstellung, Anmut und Gewöhnlichkeit, grauem Trüb- und rosigem Frohsinn, konnte Lolita, wenn sie wollte, ein absolut nervenzermürbender Balg sein. Ich war wirklich kaum auf ihre Anfälle schlampiger Langeweile gefaßt, auf ihr intensives, heftiges Genörgel, auf ihr fläziges, lustloses, stumpfäugiges Gehabe und auf das, was man Quatschmachen nennt: einer ziellosen Alberei, die sie für die Art hartgesottener Halbstarker hielt. Ich entdeckte, daß sie geistig ein ekelhaft konventionelles kleines Mädchen war. Süßlicher heißer Jazz, volkstümliche Quadrilletänze, klebrige Sundaes mit heißer Schokoladensauce, Musicals, Filmmagazine und so weiter - derlei rangierte in der Skala ihrer Vorlieben offensichtlich an erster Stelle. Gott weiß, mit wie vielen Nickelmünzen ich die prunkvoll von innen beleuchteten Musikautomaten fütterte, die es zu jeder unserer Mahlzeiten gab! Noch immer höre ich die näselnden Stimmen dieser Unsichtbaren, die Lolita ihre Ständchen darbrachten -Menschen mit Namen wie Sammy und Jo und Eddy und Tony und Peggy und Guy und Patty und Rex, und die sentimentalen Schlager, die mein Ohr alle so wenig unterscheiden konnte wie meine Zunge Lolitas verschiedene Süßigkeiten. Mit einer Art himmlischer Einfalt glaubte sie an jede Reklame und jeden Ratschlag, die in Movie Love und Screen Land erschienen - «Pickel verdorren mit Dorpickil» oder «Überlegt es euch, Mädels, ehe ihr eure Hemdzipfel aus den Jeans heraushängen laßt, denn Jill sagt, das ist total aus der Mode». Wenn auf einer Reklametafel am Straßenrand «Besichtigen Sie unseren Geschenkartikelladen» stand, dann mußten wir ihn besichtigen, mußten wir indianisches Kunsthandwerk, Puppen, Kupferschmuck, Kaktusbonbons kaufen. Die Worte «Novelties und Souvenirs» behexten sie durch ihren bloßen trochäischen
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