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London 1666

London 1666

Titel: London 1666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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gebärdete.
    Die St. Magnus Church war in ihrer Pracht und Eindruckskraft sicher nicht mit St. James vergleichbar. Dennoch wußte Ruby vom Hörensagen, daß das Gotteshaus während der ersten Pestwochen des vorigen Jahres fast jeden Tag brechend voll von Leuten gewesen war, die sich dort den Schutz des Herrn erfleht hatten.
    Viel genützt konnte es ihnen indes nicht haben, denn die Quote der Pesttoten unter denen, die als eifrige Kirchgänger gegolten hat-ten, war ganz gewiß nicht niedriger ausgefallen als unter denjenigen, die an gar nichts glaubten außer an sich selbst .
    Ruby atmete ein paarmal im Takt der Bilder ein und aus, die vor ihrem geistigen Auge tanzten und wieder erloschen. Szenen des fast ausgestorbenen Londons.
    Sie unterdrückte den Wunsch, es möge wieder so werden. So still und verlassen. So menschenleer und unkrautüberwuchert. Die Stadt hatte ihr fast allein gehört! Wie schade, wenn es nie mehr so käme. Wie ewig schade .
    Das Kreuz auf der Turmspitze erlosch. Dafür schien ein Licht hinter den Mosaiken der Kirchenfenster aufzuflammen. Ein gespenstischer Schein, der Ruby unwiderstehlich anlockte ...
    *
    Ned Joyce war der Küster der St.-Magnus-Kirche und somit verantwortlich für deren ordnungsgemäßen Zustand. Lärm - vielleicht auch noch einiges andere mehr, was er aber nicht sogleich realisierte - weckte ihn aus dem Schlaf. Er schlug die Augen auf und entzündete eine Kerze auf dem Nachttisch seiner Schlafstube in der Küsterei.
    Schon während damit beschäftigt war, die Dunkelheit in ihre Schranken zu verweisen, merkte er befremdet, daß er über Gebühr schwitzte und dabei heftig zitterte. Das Linnenhemd klebte wie eine zweite, kalte Haut an ihm.
    Als er aus dem Bett stieg, schwoll das Fauchen, das ihn geweckt hatte, noch an. Außerdem stiegen jetzt scharfe Gerüche, wie von ätzenden Dämpfen, in die Nase des frommen Mannes.
    Ned Joyce war ein halbes Jahrhundert alt, wovon er beinahe zwanzig Jahre im Kirchendienst verbracht hatte. Er war noch sehr rüstig. Anderenfalls hätte man ihn auch gewiß schon längst seines Amtes enthoben gehabt. Das Glockenläuten beispielsweise war eine Schwerstarbeit, die einiges an guter Konstitution verlangte.
    Zuerst glaubte Ned Joyce, ein Sturm sei aufgezogen, der nun draußen um die Kirchengemäuer heulte. Aber schon bald erkannte er die unheimliche Dimension dieses Tobens, das für ein normales Unwetter viel zu sehr in der Kirche und nicht außerhalb wütete .
    Barfüßig und mit den Ereignissen hadernd begab er sich zur Tür seiner Kammer, und die Haare im Nacken sträubten sich ihm. Er bekam eine Gänsehaut, von der er aber nicht ausschließen mochte, daß sie auch auf sein ungebührliches Schwitzen zurückzuführen war.
    Abwechselnd heiß und kalt wurde ihm.
    Jenseits der Tür lag ein schmaler kurzer Gang, und dort am Ende noch einmal eine Tür, durch die man direkt in den hinteren Bereich des Kirchenschiffs gelangte.
    Ned Joyce schloß sie auf -
    - und fand sich in ein Licht getaucht, das den Schein der Kerze in seiner Hand mühelos überstrahlte.
    Die Glieder wurden dem Küster taub und schwer, denn der von einem begnadeten Steinmetz gestaltete, in schlichter, aber doch sakraler Eleganz gehaltene Altar leuchtete!
    Er glühte wie ein viel zu heftig geschürter Ofen!
    Ned Joyce schwitzte nun noch stärker, aber das merkte er kaum -ebensowenig wie es ihm ins Bewußtsein drang, daß er schnurgerade immer weiter auf den Altar zuging, als würde er von etwas dort angezogen.
    Seine Schlaftrunkenheit war immer noch nicht gewichen, ganz im Gegenteil. Mit jedem Schritt, den er tat, hatte er das Gefühl, eine Meile zurückzulegen, so sehr erschöpft fühlte er sich.
    Am Ende rutschte er nur noch auf Händen und Knien durch den Mittelgang, hin zu der Stelle, wo der Bischof von London an manchen Sonntagen persönlich zu predigen pflegte.
    Ned Joyce hatte inzwischen kaum noch Zweifel, daß das Fauchen und auch das abseitige Glühen seinen Ursprung entweder in der Geisterwelt hatte - oder als Gotteszeichen zu werten war.
    Beide Möglichkeiten ließen ihn gleichermaßen zusammenschaudern. Über seine gefühllos gewordenen Lippen rann Gebet um Gebet.
    »Allmächtiger Vater ...«
    Näher und näher rückte der Altar. Und obwohl ihn jeder Meter, den er zurücklegte, ein Jahr seines Lebens kostete, vermochte Ned Joyce nicht mehr innezuhalten oder sich gar zur Flucht zu wenden.
    Das, was sich die St.-Magnus-Kirche ausgesucht hatte, um eine Vermählung des Gestern mit

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