London 1666
Metamorphose verliehen worden, und dank ihrer sonstigen Magie vermochten sie - von wenigen Ausnahmen abgesehen - den Menschen ihren Willen aufzuzwingen.
Inzwischen wußte Lilith allerdings, daß es neben den Vampiren noch einen anderen Feind der Menschen gab, den man als das Böse schlechthin bezeichnen konnte.
Diesem Urbösen war sie das erste Mal leibhaftig im Heidelberg des Jahres 1635 begegnet, wohin es sie nach der Passage des Tors im Monte Cargano verschlagen hatte. Allerdings nicht in ihrem eigenen Körper - der war in einem Zwischenreich hinter dem Tor zurückgeblieben -, sondern als bloßes Bewußtsein, das seither den Körper Kathalenas, einer kleinen Hexe aus dem Bayerischen, beseelte.
In diesem Körper war sie auf den Teufel geprallt.
Auf den Satan in Gestalt eines zyklopenhaften TIERS, das zuvor im Kampf gegen Salvat und die Bruderschaft der Illuminaten erheblich geschwächt worden war.
Lilith und ein Jüngling namens Tobias hatten sich in Salvats Auftrag an die Fersen des flüchtigen Ungetüms geheftet und es im grenznah zu Deutschland gelegenen Frankenreich schließlich aufgespürt. Dort hatte Lilith es mit einer Hand attackiert, die ursprünglich einem Heidelberger, der einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte, als Ersatz für dessen im Krieg verlorene Hand geschenkt worden war. Aber als Kathalena bei der Auseinandersetzung zwischen Salvat und dem Teufel ebenfalls eine Hand abgetrennt worden war, hatte sich die Teufelsgabe an ihren Armstumpf geheftet.
Im Aufeinanderprall mit dem TIER hatte sich gezeigt, daß sich das einstige Satansgeschenk in eine Waffe gegen den Teufel verwenden ließ. Kurz vor dessen Flucht durch einen Riß in der Wirklichkeit hatte Lilith ihm den Mittelfinger wie einen Dorn in die Brust gebohrt. Dabei hatte sie diesen Finger verloren.
Und nun .
ZZZUUUWWW!
Vielleicht klang das Geräusch, mit dem der freie Fall endete, nur zufällig wie jenes Brausen, mit dem der Satan sich vor seiner Schwächung fortbewegt hatte. Aber letztlich war dies unerheblich.
Lilith merkte erst, daß ihre Lider geschlossen gewesen waren, als sie die Augen aufschlug und in das sonderbare Licht, welches sie mitgebracht hatte, noch einmal hineinschrie: »Verzeih Uruk!«
*
Verzeih Uruk...!
Diese beiden Worte hatte sie Beth noch zugerufen, als sie sich an ihrer ehemaligen Freundin vorbei in den Abgrund geworfen hatte, der von Beth erzeugt worden war.
Von einer Toten!
Denn Beth war eigentlich im Uruk der Zukunft, im Uruk des Jahres 1996, gestorben! Lilith hatte der blonden Reporterin, ganz im Bann und Einfluß des Lilienkelchs stehend, das Genick gebrochen und sie dort am Beginn des magischen Korridors zurückgelassen, um allein den schweren Weg zum Anfang der Zeit zurückzulegen .. . 2
Für Lilith war es immer noch unbegreiflich, wie eine Frau, die absolut der toten Beth glich, in dieser Vergangenheit hatte auftauchen und sogar ein Kind gebären können: Charles Belier, den Sohn des Teufels, der dessen Wiedervereinigung aus drei Gestalten in Heidelberg vorbereitet hatte! 3
Belier war inzwischen tot.
Und Beth, die der Satan mit sich aus Heidelberg fortgeschleppt hatte, schien bis eben nicht geahnt zu haben, wer sich tatsächlich im Körper der kleinen brünetten Hexe Kathalena verborgen gehalten hatte.
Lilith hatte nicht voraussagen können, was sie in dem Riß erwartete, den Beth ihr mit den Worten: »Ihm nach! Los! Ich ... weiß nicht, wie lange ich es noch ... aufrechterhalten kann ...« zugänglich gemacht hatte.
Denn der Satan war auch ihr Peiniger gewesen, nicht ihr Freund!
(Obwohl sie mit ihm gebuhlt hat?)
Lilith widerstand der böswilligen Einflüsterung.
VERZEIH URUK!
Sie trug dieses Uruk seit damals wie ein Zentnergewicht mit sich herum, überallhin, wo auch immer sie ihrer Bestimmung zu folgen versuchte. Es war, als wäre sie zu einem Mord unter Hypnose gezwungen worden und könnte sich nun trotzdem nicht frei von Schuld sprechen, da es ja ihre Hände gewesen waren, die dieses Verbrechen begingen - noch dazu an ihrer besten Freundin, mit der sie zuvor so viele Gefahren gemeinsam bewältigt hatte.
Beth hätte etwas anderes verdient gehabt - das machte es so schrecklich!
Das Licht, das mit Lilith gekommen war, versiegte nicht; es hing der veränderten Umgebung, in der sich die Halbvampirin im Körper Kathalenas wiederfand, noch eine Weile an:
Eine Kirche! Nicht mehr das freie Feld, der Bach und das Zeltlager der vergreisten französischen Soldaten, in dem Lilith und Tobias
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