London 1666
dem Heute herbeizuführen, war eine überaus grausame Kraft. Barmherzigkeit war ihr fremd. Das Schicksal einzelner rührte sie nicht.
Und so kam es, daß das letzte, was der Küster verschwommen wahrnahm, ehe seine Augen ihren Dienst versagten, etwas war, das auf dem Altartisch zu liegen schien. Etwas, das einen Moment zuvor noch nicht da gewesen war.
Und das . sich bewegte und sich . aufrichtete?
In der Haut von Ned Joyce klafften plötzlich überall Risse.
Wasser, dachte er, von der Rasanz seines Siechtums völlig überrumpelt. Ich brauche ... Wasser ... Durst... Herr, gib mir ...
Dann war es zu Ende.
Nacht, der kein Tag mehr folgen würde, senkte sich über Geist und Verstand des Küsters. Er hauchte sein Leben aus, und selbst dieser allerletzte Atemzug wurde ihm begierig von den Lippen gerissen und entführt ... dorthin, von wo im Gegenzug auch etwas gekommen war.
Angekommen.
Etwas mit nur noch neun Fingern an zwei grundverschiedenen Händen .
*
cutter schleppt sich mühsam zu seinem gewohnten schlafplatz. blut und tränen verschmieren sein gesicht. er steht noch ganz unter schock. die bösartigkeit des lumpenmädchens macht ihn fassungslos, obwohl er gewalt -auch gewalt gegen sich - gewohnt ist ... er hat doch nur freundlich sein wollen!
wimmernd wie ein mißhandeltes tier kauert er unter der london bridge. was er gegessen hat, erbricht er sauer. ihm ist schlecht, sterbenselend. zu den schmerzen, die die tritte hinterlassen haben, gesellen sich auch noch andere, absonderlichere, die cutter nicht zuordnen kann, bis . bis er die schwellungen entdeckt, die keine normalen beulen sind. schwellungen, die nicht nur seinen untergang bedeuten, sondern einen jeden mitreißen werden, der ihm nahe kommt!
cutter kennt sich aus - wie jedermann im london dieser jahre. aber er ist immer noch ein grundguter, ein freundlicher mensch, der anderen nichts böses will. er ist auch nicht mehr jung, er hat sein leben gelebt.
gegen die noch zunehmende übelkeit und schwäche ankämpfend, kriecht er durch die nebelsuppe hin zur themse. das wasser ist kalt, eisig. cutters herz stottert. der schwere mantel saugt sich voll und zieht ihn in die tiefe eines grabes, dessen stille wie eine wundervolle melodie in cutters ohren rauscht.
seine letzte sorge gilt den fischen. wenn sie klug sind, denkt er, mißtrauen sie dem köder .
*
Von einer Nacht in die andere 1635-1666 ...
WAS HABE ICH GETAN?
Für einen Moment, der ewig zu währen schien, fühlte sich Lilith Eden wie an unzähligen Fäden aufgehängt - schwebend in einer Sphäre, in der es weder Licht noch Dunkelheit gab, obwohl Lilith meinte, um sie herum würden Sonnen geboren und sterben!
Sie ... fiel.
Sie war in diese absurde »Lücke« gesprungen, die sich im Heerlager der Franzosen neben Beth - Beth! - aufgetan hatte und durch die ihr der Satan vorausgeeilt war .. .! 1
Seither stürzte sie.
Endlos.
Außerhalb von Zeit und Raum, keines Atemzugs und keines klaren Gedankens mächtig.
Erstarrt.
Die Stasis erstickte sie in ähnlicher Weise wie das Geschöpf, das Lilith aus seinem Grab befreit hatte, damit es sich mit Gott versöhnen möge - die Urmutter der Vampire! Adams erste Frau, die Hohe Wesen ins Uruk der Sumerer geboren hatte: Landru, Enlil, Adad, Ischtar ... die Stammväter und -mütter aller Vampire, die sich die Menschen Untertan gemacht hatten ... und über die die eigene Mutter schließlich das Todesurteil gefällt hatte.
Gottes Strafe hatte die Vampire des ausgehenden 20. Jahrhunderts ausgerechnet aus dem Lilienkelch ereilt, der zuvor ein Born vampirischen Lebens gewesen war. Bis auf die Sippenoberhäupter und einige Ausnahmefälle hatte die »Purpurseuche« die Vampire rings um den Erdball dahingerafft. Und Lilith hatte den Auftrag erhalten, die letzten »Überlebenden« zu finden und ebenfalls von ihrem widernatürlichen Los zu erlösen.
Von den Hütern abgesehen, waren alle Vampire ursprünglich als Menschen geboren worden, aber im zarten Kindesalter einem magischen Ritus, in dessen Mittelpunkt der Lilienkelch stand, unterzogen worden. Dabei mußten sie das Blut des Sippenoberhaupt aus dem Kelch trinken.
Nach der »Gnade des ersten Todes« erwachten sie zu Wiedergän-gern, die fortan vom Blut der Menschen anhängig waren, um ihr eigenes abstruses Leben zu erhalten. Normale Nahrung war ihnen fremd, Blut der einzige Nektar, der sie unsterblich machte, solange sie sich in seinen Besitz bringen konnten.
Zu diesem Zweck war ihnen die Gabe der
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