London 1666
an Substanz, und schließlich floh Ruby in den Beichtstuhl, der ihr näher als die Küsterei lag. Sie wollte sich verbergen.
Doch in ihrem Eifer warf sie, als sie gegen das kleine Tischchen unterhalb der Verbindungsluke zur Nebenkammer stieß, eine Bibel zu Boden. Es klatschte ohrenbetäubend laut, als das ledergebundene, schwere Buch zu Boden fiel - zumindest kam es Ruby entsetzlich laut vor.
Auf jeden Fall war es gehört worden, denn wenig später hörte sie Schritte auf den Beichtstuhl zukommen.
Und dann -
*
Bis Lilith endlich begriff, was die fremde Hand an ihrem Arm zu tun versuchte, hatten die drei Finger und der Daumen das Mädchen schön beinahe erwürgt. Es war blau im Gesicht, und seine Augen quollen weit hervor, bis sich Lilith endlich zu wehren begann.
Sie verweigerte die Komplizenschaft!
Mit aller Kraft warf sie sich nach hinten und stemmte sich gegen den verderblichen Einfluß jenes Dings, das viel mehr war als nur eine lebendige Prothese!
Was hatte Salvat damit getan? Mit welchem Gift hatte er diese Faust aus dem Arsenal des Teufels geimpft?
Lilith wußte es ebensowenig wie sie Salvats Rolle bis ins letzte durchschaute. Als altehrwürdiger Vorsteher des Ordens der Illumi-nati war er ihr in der Zukunft begegnet - als zürnender Racheengel war er im Heidelberg des Jahres 1635 der Satansbrut aus dem Spinnenkokon zu Leibe gerückt!
Und noch während Lilith sich abmühte, die Umklammerung um die Kehle des Mädchens zu lösen, sprang eine andere Angst sie an: die Angst, einen schrecklichen Fehler zu begehen.
Was, wenn sie sich nur von einer Maske des Satans täuschen ließ? Wenn dieses Mädchen nicht halb so unschuldig war, wie es nach außen schien ...?
Salvat hatte keinen Zweifel an der Verwandlungsfähigkeit des gestaltgewordenen Bösen gelassen. Es konnte beliebige Form annehmen! Jeden Menschen imitieren.
Sicher reagierte die Faust nicht ohne Grund so heftig auf dieses so harmlos anmutende, verwahrloste Geschöpf, das sich in die Ecke des Beichtstuhl gekauert hatte!
Aber war dieser vom Satan geschaffenen Hand zu trauen?
Nein! Liliths Antwort kam aus tiefstem Herzen.
Und dann .
... sah sie das, was sie sicher machte, es nicht mit dem Satan zu tun zu haben - weil es keinen Sinn machte, daß er sich in solcher Weise tarnte!
Den Blick auf das Vampirmal am Hals des Mädchens gerichtet, mobilisierte Lilith Widerstand und Durchsetzungsvermögen, das selbst der fremden Faust gewachsen war.
Die Umklammerung wurde gesprengt.
Lilith wurde von ihrem eigenen Schwung nach hinten gerissen und schlug so unglücklich mit dem Hinterkopf auf die Steinfliesen, daß sie augenblicklich das Bewußtsein verlor.
Sie sah nicht mehr, wie das nach Luft schnappende Mädchen sich aufrichtete, aus dem Beichtstuhl herauswankte, kurz innehielt, sich umsah, seine Wahl traf, eine schwere Skulptur von einem Wandsockel hob und damit zu der Frau am Boden ging, um ihr den Schädel einzuschlagen.
*
Mittwoch, 29. August 1666
Ledrige Schwingen durchpflügten die Lüfte jenseits der Mitternacht.
Kyle nutzte seine wiederentdeckten Fähigkeiten und machte sich damit das Element Untertan, durch das er sich, einem Vogel gleich, bewegte. Die uralte Kraft, die ihn schon zu Zeiten der Magna Carta durchpulst hatte, war neu in ihm erwacht und schien sich nicht daran zu stören, daß dies ja eigentlich nicht sein Körper war, den sie in die Fledermaus-Maskierung zwang, sondern der Leib eines Menschen!
Kyle wußte immer noch nicht, was genau in Downings Garten mit ihm geschehen war. Aber zweifellos war nicht nur sein Bewußtsein in Pepys Hülle übergeflossen und hatte dort die insgeheime Herrschaft an sich gerissen, nein, auch seine Magie hatte darin überdauert ...!
Was für ein Irrsinn, dachte er. Und erhöhte seine Geschwindigkeit.
Er hatte sein - Pepys' - Haus wohlversorgt zurückgelassen, den Menschen darin Erinnerungen aufgepfropft, die ihnen und allen, die vielleicht zu Besuch kamen, Normalität vorgaukeln würden, während er selbst unterwegs war.
Unterwegs, um Antworten zu finden.
Er wollte es wissen!
Nun, da er sich über seine wahre Identität gewiß war, ertrug er die Unklarheit, was aus seiner Familie geworden war, nicht länger. Bei Nacht und Nebel hatte er sein Heim verlassen und sich zu den Sternen aufgeschwungen .
Gerade zog unter ihm die Ruine des Mitras-Tempels vorbei, der noch aus der Römerzeit stammte und einem Kult entsprungen war, der von den Angeln und Sachsen nicht weiterbetrieben worden war. Aber
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