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London Boulevard - Kriminalroman

London Boulevard - Kriminalroman

Titel: London Boulevard - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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war ich vollständig eingerichtet. Jetzt klingelte es.
    »Mr. Mitchell.«
    »Hi, Doc.«
    »Woher wussten Sie, dass ich es bin?«
    »Doc, raten Sie mal, wie viele Inder mich anrufen.«
    »Oh.«
    »Wie haben Sie die Nummer rausbekommen?«
    »Das war Briony, sie ist sehr einfallsreich.«
    »So kann man’s auch nennen ... wollten Sie was Bestimmtes?«
    »Ja, können wir uns treffen? Ich würde sie gerne zum Essen einladen.«
    »Okay.«
    »Ausgezeichnet. Es gibt einen wunderbaren Italiener in Notting Hill, heißt Da Vinci’s. Sagen wir um acht?«
    »Italiener?«
    »Mögen Sie kein italienisches Essen?«
    »Na ja, doch, klar, okay. Und nennen Sie mich Mitch.«
    »Gut, Mr. Mitch.«
    Ich hatte irgendwie fest auf Fish and Chips gesetzt, aber was soll’s. Ich trug den blauen Anzug und ein weißes Hemd. Warf einen prüfenden Blick in den Spiegel, sagte:
    »Cool.«
    Wie hätte es anders sein können - einschließlich Doc trugen alle anderen Freizeitkleidung.
    Das Restaurant war gemütlich und freundlich, und der Doc war dort bekannt. Guter Einstieg. Wir bestellten Muscheln und Linguine, außerdem Spaghetti Bolognese. Das Brot war frisch und knusprig wie eine verklärte Kindheit. Sogar der Wein schmeckte mir. Ich wischte die Sauce mit dem Brot auf, der Doc bestellte noch mehr Wein, und ich fragte:
    »Was gibt’s, Doc?«
    »Es geht um Briony.«
    »Quelle Surprise.«
    »Sie sprechen Französisch?«
    »Nein, nur den einen Satz, also muss ich mir gut überlegen, wann ich ihn zum Einsatz bringe. Sie würden staunen, wie oft ich es sage, wenn Briony dabei ist.«
    »Darf ich ehrlich sein, Mr. Mitch?«
    Wenn man diesen Satz hört, sollte man zahlen und sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen. Ich sagte:
    »Schießen Sie los.«
    »Ich liebe Briony sehr.«
    »Aber sie tickt nicht richtig, stimmt’s?«
    Das machte ihn betroffen, lieferte ihm aber auch sein Stichwort, er sagte:
    »Als Medizinstudent hatte ich ernsthaft eine Laufbahn als Psychologe in Erwägung gezogen. Ich habe mich ausführlich mit Borderline beschäftigt.«
    »Sie meinen mit Grenzverläufen.«
    »Nein.«
    Der Kellner kam und räumte das verkrümelte Chaos ab. Es war beträchtlich. Die stehen drauf, wenn man richtig isst. Tolle Leute. Der Doc nahm Pavlova zum Dessert. Ich begnügte mich mit einem Cappuccino ohne Kakaopuder oben drauf. Ich hasse den Scheiß. Der Doc sagte:
    »Patienten, die darunter leiden, trennen im Prinzip ihre Gefühle von ihrem Verhalten. Die Tragödie ist, dass Borderline nicht heilbar ist. Man kann nicht mehr tun, als den Betroffenen zu helfen, damit zurechtzukommen. Am Anfang wirken sie normal, haben gute Jobs, aber es ist ein ständiger Drahtseilakt zwischen Wahn und Wirklichkeit. Sie sind nicht in der Lage, Beziehungen einzugehen, und niemals frei von einer tiefsitzenden Wut, die letztlich in Selbstzerstörung mündet.«
    »Die Klauerei?«
    »Genau. Sie hangeln sich von einer Katastrophe zur nächsten. Sie sind absolute Meister im Rollenspiel und empfinden oft eine überwältigende Leere. Sie ändern sich nie.«
    »Schauspielerinnen.«
    »Ja, viele Borderline-Patienten sind hervorragend auf der Bühne, aber dann ...«
    Ich dachte an Lillian, fragte:
    »Wo liegt das Problem, Doc? Steigen Sie einfach aus.«
    Er sah auf sein Dessert, schob es von sich und sagte:
    »Ich bin verrückt nach ihr.«
    »Kommen Sie, Doc, ich lade Sie noch auf einen Drink in ein englisches Pub ein, wenn wir eins finden.«
    Ich ging mit ihm ins Sun in Splendour in der Portobello Road. Jedenfalls war das früher mal ein englisches Pub gewesen. Ich bestellte zwei Bitter und suchte uns einen Tisch, sagte:
    »Trinken Sie’s aus.«
    Das tat er. Danach starrte er mich lange forschend an, fragte:
    »Wie können Sie so ruhig bleiben ... wenn es um Ihre Schwester geht?«
    Er meinte »kalt«.
    Schon okay - mit Höflichkeit komme ich klar. Ich sagte:
    »Doc, ich war im Gefängnis. Hat mir überhaupt nicht gefallen. Mein Instinkt sagt mir, dass ich meine ganze Energie brauchen werde, um nicht wieder dort zu landen. Wenn ich überleben will, muss ich den Ball flach halten. Fange ich an, mich aufzuregen, bin ich tot.«
    Er war entsetzt.
    »Aber das ist doch ein entsetzliches Dasein, derart kontrolliert.«
    Ich trank mein Glas leer, sagte:
    »Besser als das Leben im Knast.«
    Nach einer Weile holten wir noch eine Runde, und während wir tranken, fragte er:
    »Was soll ich tun?«
    »Doc, ich gebe keine Ratschläge und ganz bestimmt nehme ich auch nie welche an, aber ich will

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