London Hades
hatte sie von den beiden in raschelnde Seidenkleider gewandeten Damen, die kurz zuvor an ihr vorbeigeeilt waren. Sie standen nun vor einer der ge ö ffneten Zellen und erg ö tzten sich an einer Frau, die sich an die Gitterst ä be ihres Fenster geh ä ngt hatte und laut br ü llend verlangte, man solle sie freilassen, der Winter w ä re gekommen und sie m ü sste gen S ü den ziehen, wie die anderen V ö gel.
Die Situation war grotesk. Ü berall mischten sich Besucher unter die Patienten, die in ihrer Krankheit wohl harmlos genug waren, die Galerien als Tagesraum zu nutzen, w ä hrend andere in ihren Zimmern mit dicken Ketten auf ihren strohbedeckten Pritschen festgebunden waren. Frances sah sogar eine Familie mit zwei kleinen Jungen, denen ihr Vater soeben erkl ä rte, wenn sie moralisch jemals so herunterkommen w ü rden, wie die mit Kot beschmierte, gefesselte Alte in ihrer Zelle vor ihnen, dann w ü rden auch sie hier landen – verlassen von Gott und der Welt. W ä re sie nicht ohnehin schon so w ü tend gewesen, Frances h ä tte auf dem Absatz kehrt gemacht und w ä re von diesem Ort geflohen.
» Kommst du mich besuchen? «
Frances erstarrte. Sie hatte ü berhaupt nicht bemerkt, dass sich ihr jemand gen ä hert hatte. So unscheinbar und klein, wie die alte Frau war, die sie eben am Ä rmel gezupft hatte, war das auch nicht weiter verwunderlich.
Aber das war ja … » Agnes? «
» Ja, Sch ä tzchen, Madam Agnes. Sch ö n, dich zu sehen! Hat dir Covent Garden gefallen? «
Es war tats ä chlich die Alte, die ihr den Weg ins Shakespeare’ s Head gewiesen hatte!
» Es war … h ü bsch « , meinte sie ausweichend. » Ich h ä tte nicht gedacht, Sie hier anzutreffen. «
Die Alte kicherte und winkte ab. » Ach wo, Miss, mich findest du hier so regelm äß ig, dass meine Freunde mir die Post seit Jahren hierhin schicken. «
Frances bezweifelte, dass die Gute ü berhaupt lesen konnte, und ihr bester Freund war sicher der Schnaps, danach roch sie jedenfalls immer noch. » Sicher kennen Sie sich dann hier sehr gut aus, nicht wahr, Madam? «
Agnes warf sich in die Brust. » Genau! «
» Haben Sie von einem jungen M ä dchen geh ö rt, das heute Morgen hier eingeliefert worden sein soll? Sie war Opfer eines schrecklichen Verbrechens. «
Die alte Frau r ü mpfte die Nase und sch ü ttelte sich. » Oh ja! Wi-der-lich! « Sie betonte jede Silbe einzeln. » H ö rt Ihr sie denn nicht in einem fort schreien, Euer Ladyschaft? «
Sie h ö rte eigentlich nichts anderes als Geschrei.
» Da lang! Wo die vielen Leute stehen, da gibt ’ s auch was zu sehen. « Sie wies nach rechts, den Gang hinunter, und klopfte Frances dann auf die Schulter. » Muss weiter, viel Spa ß noch. Und danke f ü r Euren Besuch! «
Tats ä chlich gab es ein St ü ck weiter einen wahren Menschenauflauf vor einem verschlossenen Raum. Die T ü r besa ß allerdings ein vergittertes Sichtfenster, und durch dieses versuchten eine Bande junger Leute hindurchzugaffen, eine Frau und vier M ä nner. Frances seufzte innerlich, als sie sich dem Gr ü ppchen n ä herte, dessen M ä nner lachend und durch das Fenster gestikulierend vor der T ü r auf- und absprangen.
» Da, jetzt hat sie sich bewegt! « , rief einer von ihnen. Ein bunt gekleideter Beau mit langem, wei ß gepuderten Zopf.
Das ebenso pr ä chtig aufgeputzte M ä dchen neben ihm, versuchte ihn am Arm wegzuziehen. » Oh, bewegen nennst du das, Gerald? Sie hat vielleicht mit der Wimper gezuckt! «
Einer der anderen Burschen drehte sich lachend um: » Kunstst ü ck, so eingepackt wie sie ist. «
» Mir ist sie unheimlich. Sie sieht aus wie eine Leiche! «
» Eine schreiende Leiche … Ich bitte dich, Celia! «
» Ich habe genug gesehen, lasst uns gehen! Gerald, Chester, Robert! « Die junge Frau verschr ä nkte die Arme vor der Brust und verzog das Gesicht. » Mir ist langweilig. Ich m ö chte eine Schokolade trinken gehen. Welcher Gentleman besitzt den Anstand f ü r eine Verschmachtende eine Tasse Schokolade zu erwerben? «
Frances konnte sehen, wie die Burschen geistig ihre Taschen umdrehten. Auf Geralds Gesicht jedoch prangte sofort ein breites Grinsen. Er stellte die H ü pferei ein und bot dem M ä dchen seinen Arm an. » Ich, Mylady. Die anderen haben ihre Barschaft offenbar g ä nzlich beim Pf ö rtner dieses Etablissements gelassen. «
Protestierend sprangen die anderen drei dem davonstolzierenden Paar hintendrein. » Das ist nicht wahr! « – » Mein Geld reicht f ü r zwei
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