London Hades
dunkle Braunt ö ne tauchte, gar nicht bedurft, um ihm ungehindert die Hand gegen die Kehle dr ü cken zu k ö nnen. Jemand, der hier in einem der heruntergekommenen Mietsh ä user logierte, k ü mmerte sich im Interesse seiner Gesundheit um wenig mehr, als seine eigenen Belange. In die H ä nde des Mannes, der sich gro ß und bedrohlich, den Oberk ö rper leicht nach vorne geneigt, vor Henry aufgebaut hatte, wollte niemand fallen.
Im Haus gegen ü ber wurden die Vorh ä nge im Erdgeschoss zugezogen.
» Ross. « Wieso musste dieses Gespenst ihn ausgerechnet jetzt wieder plagen? So lange war es ihm gelungen, nicht mehr an ihn zu denken, und jetzt stand der Thief-Taker vor ihm, als h ä tte er seine Kehle in all der Zeit nicht losgelassen.
Ross hob die Augenbrauen und brachte damit die Kraterlandschaft seiner Pockennarben in unsch ö ne Bewegung. Er trug einen Anzug aus feinem, dunkelbraunem Wolltuch und dar ü ber einen Mantel mit breiten Schultercapes. Der Thief-Taker hatte schon immer ein Auge f ü r das Luxuri ö se gehabt …
Thief-Taker? Wo dachte er hin! Ross ’ Gesch ä fte mit der Wiederbeschaffung gestohlener Habseligkeiten und den Fangpr ä mien, die er f ü r die Ü berstellung armer S ü nder an die Magistrate kassierte, schienen in den letzten Jahren so sehr zu prosperieren, dass der Mann sich vor Kurzem gar den Posten des City Marshalls hatte kaufen k ö nnen.
Aber die gentlemanhafte Verkleidung konnte Henry nicht ü ber sein wahres Wesen hinwegt ä uschen. Er schauderte bei dem Gedanken an einen Wilson Ross, der nun auch noch ü ber die Macht eines Marshalls verf ü gte. Unter seinem Dreispitz hindurch musterten ihn Ross ’ Augen mit seiner ü blichen k ü hlen Verschlagenheit. F ü r Henry w ü rde er auf ewig ein armseliger Thief-Taker bleiben. Die gewaltige Pranke an seinem Hals lie ß ihm gerade so viel Luft, dass er sprechen konnte: » Du hast lange gebraucht, um mich zu finden. «
Ross verzog die Lippen. » Nein, ich war dar ü ber informiert, wohin du dich verkrochen hast. Aber ich hatte wichtigere Dinge zu tun, als mich um dich zu k ü mmern. «
» So? Hat sich daran etwas ge ä ndert? « Er wand sich unter der Hand des Thief-Takers, ohne sich dadurch nur ein St ü ckchen mehr Freiheit, ein Qu ä ntchen mehr Atem verschaffen zu k ö nnen.
» Ja, jetzt bin ich City Marshall. Es wird Zeit, meine Vergangenheit zu ordnen. Und l ä stigen Ballast loszuwerden. «
Henry hatte gewusst, dass Ross sich irgendwann an ihn erinnern w ü rde. » Dann schlage ich vor, du bringst es jetzt endlich hinter dich. «
Ein L ä cheln zerfurchte das Gesicht des City Marshalls. » Henri Nicolas « , sagte er und bediente sich dabei eines grauenhaften Akzentes, » wenn ich dich so billig h ä tte t ö ten wollen, h ä tte ich es l ä ngst tun k ö nnen. «
Er hasste es, dass Ross den franz ö sischen Namen benutzte, den er sich in besseren Zeiten zugelegt hatte, um der reichen Kundschaft einen zus ä tzlichen Kaufanreiz zu bieten. Dass Ross seinen Kunstnamen kannte, war keine allzu gro ß e Ü berraschung, denn Henry wusste aus eigener, leidvoller Erfahrung, dass die Ohren des Thief-Takers ü berall waren. Ross verf ü gte ü ber ein weit verzweigtes Netz aus Informanten und Spionen.
Ohne ihn loszulassen, b ü ckte sich Ross nach dem Stock, den Henry fallen gelassen hatte. » Daf ü r brauche ich keine dunkle Gasse – nicht einmal meine eigenen H ä nde. Es hat mir viel mehr Vergn ü gen bereitet, deinem Auszug aus Mrs. O ’ Maddys feinem Puff Vorschub zu leisten. « Er presste den Stock hart gegen Henrys Schritt und grinste. » Schon genesen? Habe geh ö rt, man fasst dich hier unten besser nicht an. «
Der ü ble Gedanke, der ihn schon so lange verfolgt hatte, schlich sich wieder hinter Henrys Stirn. » Du hast die Ger ü chte ü ber meine Gesundheit in die Welt gesetzt « , stellte er fest. Die Worte brannten auf seiner Zunge wie die Wut in seinem Bauch. Es war keine Frage gewesen. Ross w ü rde ihm auch keine Antwort geben. Nun war es ohnehin offensichtlich: Der Thief-Taker hatte jenes Ger ü cht gestreut, das ihn beinahe seine gesamte Existenz gekostet hatte: Henri Nicolas ist syphilitischer Abschaum. Wenn ihr das Krankenlager mit ihm teilen wollt, besucht ihn doch bei Madam O’Maddy.
Er hatte den Gedanken an Ross aus seinem Leben verbannen wollen. Dieser Mann hatte ihm schon so viel mehr angetan. Und einige Zeit lang, ja, sogar die letzten Jahre ü ber, hatte das Vergessen sehr gut funktioniert.
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