London Killing - Harris, O: London Killing - Belsey Bottoms Out
Aufmerk samkeit geschenkt. Heute betrachtete er diese Bücher als Stützpfeiler, auf denen er etwas aufzubauen versucht hatte: vielleicht ein Leben, das mehr war als nur ein Job. Es hatte nicht geklappt. Aber wenigstens die Kirchen waren friedlich gewesen. Jede hatte ihre eigene Atmosphäre – manche waren hell und heiter, andere unsagbar einsam, als hockte man in einer Zelle.
Belsey ging um das Monument herum, drängelte sich durch die morgendlichen Pendler in ihren Winteruniformen aus dunklen Mänteln und Schals vorbei. Durch Souterrainfenster schaute man hinunter auf Reihen unbesetzter Arbeitsplätze. In jedem Gebäude waren Büros zu vermieten. Trotz dem waren die Menschen nicht weniger geworden. Es dauerte eine Zeit lang, bis er St. Clement’s Court fand. Er tauchte in immer schmalere, verwinkeltere Straßen ein. Schließlich stand er vor der schlichten Fassade der St. Clement’s Church und stellte fest, dass die schmale Lücke zwischen der Kirche und einem anonymen Bürokomplex in Wirklichkeit der Eingang in eine Gasse war. An einer Seite stand auf einer Tafel: »Hier lebte 1784 Dositey Obradovich, ein bedeutender serbischer Ge lehrter.« An der Wand gegenüber hing ein ebenso verwit tertes Schild, in das eine geisterhafte Hand eingraviert war, die in das dauerhafte Halbdunkel der Gasse wies: Eingang zu St. Clement’s Court 37 – 41.
Der Durchgang war eine dieser finsteren Gassen, in denen man das Gefühl hatte, die City sei ein undurchdringliches Gebilde aus erodiertem Kalkstein. Belsey ging hinein. Eine Eigenart dieses mittelalterlichen Kaninchenbaus war, dass die Nummern 37–41 eine einzige schwarze Tür in dem schmalen braunen Backsteingebäude am Ende dieser Sackgasse bezeichneten. Belsey fragte sich, ob es früher zur Kirche gehört hatte. Vielleicht war es das Pfarrhaus gewesen. AD Development hatte das Haus ganz für sich. Der Außenwelt präsen tierte es sich nur mit einem einzigen Bleiglasfenster, des sen untere Hälfte wie in einem französischen Restaurant mit einer heimeligen Gardine verhängt war. Neben der Tür befand sich ein einzelner Klingelknopf aus Messing, darunter ein frisch poliertes Messingschild, auf dem der Firmenname stand.
Belsey stieg auf das Friedhofsmäuerchen und schaute über die Gardine. Durch die fast blinde Scheibe konnte er eine junge Frau erkennen, die in einem Büro an einem Schreibtisch saß und etwas schrieb. Sonst sah er niemanden. Sie trug Strickjacke und Stöckelschuhe und machte einen verfrorenen Eindruck. Belsey stieg wieder von der Mauer herunter. Ihm fiel ein, dass er Devereux’ Garderobe trug. Er entledigte sich der seiner Meinung nach verdächtigsten Kleidungsstücke, Krawatte und Jacke, und legte beides neben die Tür auf den Boden. Dann klingelte er.
Der Summer ertönte. Er trat in einen Flur mit vergoldeten Möbeln, einem Tisch, auf dem eine Vase mit Blumen stand, und einem großen gerahmten Spiegel. Die Tür zum Büro stand schon offen.
»Bitte«, sagte die junge Frau.
Das Büro war auf gediegene Weise abgenutzt. Es atmete den Charme alten Geldes und ließ auf einige angenehme Jahr hunderte cleverer Geschäftstätigkeit schließen. Arbeitsplätze waren für vier oder fünf Personen vorhanden, anwesend war aber nur die junge Frau. Sie war brünett und stark ge schminkt, was aber nicht verbergen konnte, wie jung sie war. Ein alter elektrischer Heizlüfter brummte neben ihren Füßen. Neben drei verbeulten, flaschengrünen Aktenschränken stand ein Garderobenständer mit einem Damenmantel, vor der hinteren, mit grünen Vorhängen bedeckten Wand ein großer Mahagonischreibtisch mit einem gepolsterten Lehnstuhl, der antik aussah. In einem Kamin waren dekorativ Pinienzapfen aufgeschichtet. Der Teppich war abgetreten.
Das Mädchen sah ihn gespannt an. Sie sah aus wie eine Praktikantin.
»Ist Mr Devereux da?«, fragte er.
»Nein«, sagte sie unsicher. »Ich bin seine Assistentin. Kann ich Ihnen vielleicht helfen?« Sie hat ein merkwürdiges Gesicht, dachte Belsey. Nicht hässlich, aber auch nicht hübsch, mit wässerigen Augen und unglaublich blasser Haut.
»Wissen Sie, wo er ist?«
»Nein.« Ihre Hände kneteten ein Kleenex.
»Wann war er zuletzt hier?«
»Gibt es ein Problem?«, fragte sie.
»Nein, glaube nicht. Ist das hier sein Büro?«
»Ja.«
»Hat AD Development oben auch noch Büroräume?«
»Nein, das hier ist das Büro. Soll ich ihm was ausrichten?«
»Nein danke, schon okay.«
Er war schon wieder an der Tür, als sie sagte:
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