London Killing - Harris, O: London Killing - Belsey Bottoms Out
Oktober stand etwas über sein Leben: »Extrem öffentlichkeitsscheuer, extrem erfolgreicher Investor«, einer jener sogenannten »zehn Weihnachtsmänner«, die die zweite Ausverkaufsrunde über Weihnachten 1998 vorangetrieben hätten. Weiter hieß es, Devereux habe sich ins politische Exil zurückgezogen, nachdem das Leben in Russland wegen seiner Verbindungen zu Oppositionspolitikern zunehmend unerträglich geworden sei.
Belsey las den Bericht noch einmal. Er lief darauf hinaus, dass Devereux kurz vor Erscheinen des Artikels, also vor gut vier Monaten, ins Exil gegangen war. Es hieß, er habe Stützpunkte in Paris, London und New York, wo man ihn wahr scheinlich überall willkommen heißen würde. Aber niemand wusste, wohin er gegangen war. Und niemand wusste, wohin seine Unternehmungen gehen würden.
Belsey kehrte ins Haus zurück. Der Verwesungsgeruch verflüchtigte sich langsam. Die Insekten waren zum nächsten Festmahl weitergezogen. Er versprühte das Raumspray, holte dann eine Flasche Champagner aus dem Kühlschrank und öffnete sie. Die empfohlene Dosis ChestEze für einen Erwachsenen war eine Tablette alle vier Stunden. Mit einem Glas Veuve Clicquot spülte er drei hinunter. Er schloss die Tür zu dem Schutzraum und versuchte zu vergessen, dass es ihn gab. Er war etwas erschrocken über das, was er tat, doch für den Augenblick konnte er noch ganz gut damit leben.
Belsey betrachtete die American-Express-Karte. Sie war erst seit fünf Tagen gültig. Er rief die Nummer des Kundenservice an, die auf der Rückseite stand.
»Ich habe eine neue Kreditkarte von Ihnen«, sagte Belsey. »Aber ich habe nie die PIN dafür bekommen.«
»Sollen wir Ihnen eine neue Karte ausstellen?«
»Ich brauche nur die PIN-Nummer.«
»Wir müssten ohnehin eine neue Karte ausstellen.«
»Okay. Und die PIN-Nummer wird separat geschickt?«
»Richtig.«
»Wie lange wird das dauern?«
»Zwei oder drei Tage.«
»Können Sie sie per Eilboten schicken? Ich möchte nicht, dass die auch noch verloren geht.«
»Leider nicht, Sir. Aber die Karte sollte in ein paar Tagen bei Ihnen sein.«
»Okay.«
»Sie müssten mir nur noch ein paar Fragen beantworten. Was ist Ihr Geburtsdatum?«
»2. Februar 1957.«
»Und Ihre Postleitzahl?« Belsey las die Zahl vom Um schlag eines ungeöffneten Katalogs für Gartenartikel ab.
»Wie lautet der Mädchenname Ihrer Mutter?«
»Demochev«, sagte er ins Blaue.
»Das ist nicht der Name, der in meinen Unterlagen steht, Sir.«
Er war gegen eine Wand gelaufen. Belsey fragte sich, wie er den Mädchennamen von Devereux’ Mutter in Erfahrung bringen könnte. Er sah ein mit Dokumenten vollgestopftes Archiv aus der Sowjetära vor sich. Dass die Mädchennamen von Müttern, dieses intimste Wissen aus der Vergangenheit, als Sicherheitssperre benutzt wurden, hatte ihn immer gerührt. Jetzt rührte es ihn nicht mehr.
»Ich bin Waise«, sagte er.
Es folgte eine Pause. »Gut, Sir. Haben Sie bei uns einen besonderen Namen hinterlegt? Als Passwort?«
»Das habe ich vergessen.«
»Wir bräuchten es aber, bevor wir Ihnen eine neue Karte ausstellen können.«
»Okay.«
Belsey legte auf. Er ließ eine Viertelstunde verstreichen, dann rief er die Dienststelle für Kreditkartenbetrug in Temple an.
»Hat gerade jemand angerufen und wegen einer Karte auf den Namen Devereux Meldung gemacht?«
»Nein. Wollen Sie eine machen?«
»Nein.«
Aus reiner Neugier rief Belsey bei der City Police und im Büro für schwere Betrugsdelikte an. Er ließ Devereux und seine Firma durch deren Computer laufen, ohne Ergebnis. Sie wussten nichts, zeigten kein Interesse und hatten nach eigener Aussage »selbst schon genug am Hals«.
Dem Durchschnittsbürger fällt erst nach etwa zwölf Monaten auf, dass man ihm seine Identität gestohlen hat. Das galt für die Lebenden. Wenn er also dabei war, Devereux’ Identität zu stehlen, dann hatte er noch etwas Zeit. Er war bereit, da weiterzumachen, wo Devereux aufgehört hatte. Wenn er wiedergeboren werden sollte, dann wäre es ganz nett, wenn er als reicher Mann zurückkehrte.
Belsey machte sich an die erste systematische Durchsuchung des gesamten Anwesens. Es gab jede Menge Dinge, für die er sich interessierte: Testament, Scheckbücher, Führerschein oder jede andere Art von Ausweis mit Foto, PIN-Nummern, Laptop, Passwörter oder Adressbücher, in denen sie notiert sein könnten. Er fing im Arbeitszimmer an. In zwei kunstvoll ausgebauten Wandnischen, die durch einen Rund bogen
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