London Killing - Harris, O: London Killing - Belsey Bottoms Out
verbunden waren, befanden sich Regale mit kleinen Schranktüren und Schubladen darunter. Aber bis auf Druckerpapier, alte Kataloge und vergilbte Zeitungen in Französisch, Italienisch und Chinesisch waren sie leer.
Die Kommoden im Schlafzimmer und im Wohnzimmer auch. Belsey suchte nach Safes hinter den Kunstwerken an den Wänden, ebenfalls ohne Erfolg. In den Schubladen des Esszimmertisches lagen zusammengefaltete Tischdecken, darunter stand ein Karton mit Weingläsern aus Kristall.
Er entdeckte eine verstaubte Sauna, die er bei seiner ersten Inspektion für einen begehbaren Kleiderschrank gehalten hatte. Neben der Küche im Erdgeschoss fand er einen Wirtschaftsraum, von dem Devereux wahrscheinlich gar nichts wusste. Hier standen eine Waschmaschine und ein Bügelbrett, Arbeitsgeräte und -kleidung für die Putzfrauen und Gärtner, Flaschen mit Reinigungsmitteln und flüssigem Bohnerwachs.
Nichts, was ihm hätte von Nutzen sein können.
Das Telefon fing wieder an zu klingeln. Als wollte es das Eigentümliche seiner Lage zum Ausdruck bringen. Jedes Klingeln kam ihm vor wie ein Ruderschlag, mit dem er sich weiter vom Ufer entfernte. Belsey saß im Arbeitszimmer, betrachtete das Schiffsmodell und den Winterpalast. Für kurze Zeit verließ ihn sein Diebeswille. Devereux’ Besitztümer kamen ihm vor wie die Worte eines unvollendeten Satzes. Sie wollten ihm etwas sagen. Über die Einsamkeit, vielleicht. Exil war ein Gefühl, das verstand Belsey. Er schaute sich um und spürte, dass hier jemand versucht hatte, einen fremden Ort wie ein Zuhause aussehen zu lassen. Vielleicht erklärte das, warum alles so unverbindlich, so gemietet aussah.
Worüber hatte Devereux nachgedacht, wenn er hier auf diesem Stuhl gesessen hatte? Über Geldsorgen? Ein verpatztes Geschäft? Ein Land, das er nie wiedersehen würde? Belsey hatte schneebedeckte Äcker, Landmaschinen, einen Feldweg vor Augen. Er sah Bäuerinnen, die Honigkuchen an Reisende verkauften, er sah Fabriken mit kräftigen Männern und Flaggen. Er ging zum Fenster, kniete sich dann auf den Boden und schaute unter den Schreibtisch und den antiken Stuhl. Auf dem Boden glitzerte etwas. Belsey kroch unter den Schreibtisch und griff nach dem Gegenstand. Es war eine Uhr, sah aus wie eine Rolex, silbern und schwer. Das silberne Ziffernblatt trug das Rolex-Logo, aber der Sekundenzeiger bewegte sich nicht. Wahrscheinlich eine Fälschung. Er hielt Devereux nicht für einen Mann, der gefälschte Uhren trug, aber vielleicht war er nicht immer der Mann gewesen, der er später geworden war. Es war immer noch eine Uhr, die tickte und noch einiges mehr zu bieten hatte: fünf kleinere Ziffernblätter und jede Menge Knöpfe zum Rumspielen. Sogar Fälschungen konnten mehrere Hundert Pfund kosten. Belsey gefiel sie. Sie zeigte auch die Mondphasen an.
Er streifte sich die Uhr übers Handgelenk und ging in die Küche. Er nahm drei Flaschen aus dem Weinregal, öffnete und probierte sie alle: einen Clos des Lambrays Grand Cru aus dem Burgund, einen 1996er Riesling aus dem Elsass und zuletzt einen 1989er Rotwein aus dem Piemont. Er stellte fest, dass die einzig moralische Methode, mit Luxus umzugehen, war, sich mit seiner Hilfe zugrunde zu richten. Er schaute auf die gefälschte Rolex, nahm einen Schluck von dem Burgunder und ging mit dem Riesling nach oben zum Swimmingpool. Es dämmerte. Belsey schlüpfte aus den Schuhen und legte sich auf eine Liege. Er fragte sich, was man machte, wenn man sich allen Luxus leisten konnte, was es dahinter zu entdecken gab. Er beschloss, mehr über Zeitmanagement herauszufinden. Seine Karriere war ein Zeitersatz gewesen, aber sie war ihm zwischen den Fingern zerronnen. Er wusste nicht, was sie ersetzen würde. Er wollte mit Alexei Devereux reden.
Er unternahm einen letzten Rundgang durchs Haus. Die Garage hatte er nicht genauer untersucht, er hatte sie für leer gehalten. Jetzt, beim zweiten Kontrollgang, zeigte sich, dass er eine fahrbare Mülltonne übersehen hatte, die vorn in der Ecke stand, neben dem elektrischen Garagentor. Er hob den Deckel hoch und sah einen blauen, halb vollen Recyclingsack; er riss ihn auf und sah Papier.
Er trug den Müllsack ins Wohnzimmer und leerte ihn auf dem Boden aus. Ein Berg von Unterlagen kam zum Vorschein. Es handelte sich um den Schriftverkehr zu einem gewissen »Projekt Boudica«. Außerdem fand er zusammen gefaltete Faxseiten – eine Nachricht von den Rechtsan wälten eines Glücksspielkonsortiums namens »Hong Kong
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