London Killing - Harris, O: London Killing - Belsey Bottoms Out
in ein Café, zog eine Zeitung aus dem Papierkorb und schrieb in den unbedruckten Teil einer Anzeige: Flug, Steuern, Zug und daneben die entsprechenden Preise. Zufrieden schaute er sich das Ergebnis an – siebenundvierzig Pfund für den Start in ein neues Leben. Daneben schrieb er die von der Gründungsagentur genannten fünftausendachthundert Pfund, die ihm die Mög lichkeit einer sensationelleren Wiedergeburt offenhielten. Das hieß: Er brauchte ein stattliches Startkapital.
Er blätterte um und notierte am Rand der nächsten Seite Wertgegenstände aus Devereux’ Besitz und die Preise, die er glaubte, dafür erzielen zu können.
12
Sein Pass war nicht im Büro. Bei seinem Ausflug nach Sizilien hatte er ihn offenbar noch benutzt. Er konnte sich nicht erinnern, wann er ihn zuletzt in der Hand gehabt hatte.
Nach ein paar Minuten wurde seine Suche vom Klingeln des Telefons unterbrochen. »Nick?«
»Ja?«
»Mike Slater. Uns ist zu Ohren gekommen, dass man in der Bishops Avenue eine Leiche gefunden hat. Selbstmord. Kannst du mir was dazu sagen?«
Belsey atmete durch. »Absolut nichts, Mike. Warum erzählst du mir nicht, was Sache ist?«
»Ich mein’s ernst, Nick. Ich halte hier einen Artikel zurück, in dem es um deine jüngsten Heldentaten geht. Jetzt brauche ich eine Story.«
»Ist eine Leiche nicht genug für eine Story?«
»Das ist eine Leiche in der Bishops Avenue.«
»Ich ruf dich wieder an, Mike. Und halt mich aus deiner Zeitung raus, okay? Ich wäre dir sehr dankbar.«
Belsey legte auf und verfluchte alle geschwätzigen Sanitäter und übereifrigen Journalisten. Mike Slater war Redakteur beim Hampstead and Highgate Express. Unter seiner Aura von Weltschmerz und knorrigem Charme verbarg sich eine Leidenschaft für den Journalismus, der der Ham and High seit zwanzig Jahren seinen Ruf als eines der angesehensten lokalen Wochenblätter verdankte. Slater war Belsey zwar freundschaftlich verbunden, aber er roch eine Story in NW3 auf hundert Meter. Trapping kam ins Büro.
»Nick.«
»Rob. Den Verdächtigen in dieser Sache mit der Messerstecherei, Johnny Cassidy, habt ihr den schon gefunden?«
»Noch nicht.«
»Du hast gesagt, das ist der Sohn von Niall Cassidy.«
»Genau.«
»Ist der alte Herr immer noch als Hehler unterwegs?«
»Nun ja, sagen wir so, sie haben ihn zumindest noch nicht zum Chef der Bürgerwehr gemacht.«
»Und er lebt immer noch in Southwark?«
»Wo sonst sollten sie den wohl haben wollen? In der Gegend hast du doch früher deine Runden gedreht, oder?«
»Kurz.«
»Da bleibt man besser im Wagen, was?«
Trapping nahm einen Ordner und verließ das Büro. Belsey dachte nach. Seine Geldnot bremste ihn aus. Die blutige Heimkehr von Niall Cassidys Sohn könnte sich als Glücksfall erweisen. Er musste schnell einen Haufen Diebesgut versilbern, aber dazu würde er sicher nicht in eins der neuen Leihäuser in der High Street marschieren.
Er griff nach seinem Mantel und den Schlüsseln für Devereux’ Porsche und machte sich auf eine Reise in die Vergangenheit.
13
Belsey nahm die Blackfriars Bridge über den Fluss. Die Sonne ging unter. Nach der Hälfte der Old Kent Road hatte er das Gefühl zu fallen. Das elastische Band der Zeit schnalzte zurück und katapultierte ihn durch seine einst vielversprechende Karriere, durch Southwark zurück in Richtung Elephant and Castle.
Er ließ die glitzernde Uferpromenade hinter sich. In den zeitlosen viktorianischen Schatten jenseits der sanierten Viertel waren die alten Orientierungspunkte noch die gleichen: die Wohnsiedlungen, in denen er seinen Beruf gelernt hatte, die Pubs, wo er versucht hatte, ihn wieder zu vergessen. Aber die Pubs waren jetzt alle verrammelt. Gebäude, die schon immer hinfällig gewesen waren und deren Durchhaltevermögen das Krankhafte und Unnachgiebige im Leben verkörpert hatte. Das Eagle war eine Polizistenkneipe gewesen, jetzt hingen an jedem Fenster »Betreten-verboten«-Schilder. Die Lieb lingserinnerungen an sein eigenes Leben, getaucht in goldbraunes Licht, der Farbe von Whisky und Bier, waren verrammelt. Mit knapp dreißig war er zuletzt auf diesen Straßen Streife gegangen. Da hatte er gerade im CID angefangen und war noch ganz scharf drauf.
Wie durch ein siffiges Wunder hatte das Wishing Well überlebt. Es stand neben einem Bahnbogen in einer Seitenstraße voller Autowerkstätten und Garagen. Der Schriftzug »Take Courage« an der seitlichen Hauswand verblasste. Der Backstein war immer noch schwarz vom Ruß
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