London NW: Roman (German Edition)
sich ein Küchentuch um die Hand wickelte und den Deckel hob.
»Dieses Buch ist gekommen – das Grace aufgestöbert hat.« Er hielt ihm den Umschlag hin. »Warum bringst du den ganzen Kram hier nicht raus zum Stand, Mann? Das Wetter ist gut. Oder du verkaufst beim Karneval.«
Lloyd winkte ab. »Den Quatsch spar ich mir. Ist nicht mehr meine Musik. Nur noch Krach.«
In der Spüle stapelten sich die Teller, und in einer Ecke lag ein kleiner Berg Bettwäsche, der den Weg zum Waschsalon noch nicht angetreten hatte. Eine Glühbirne hing nackt herunter. Im Aschenbecher glomm ein halb gerauchter Joint.
»Mann, Lloyd ... Du musst echt mal aufräumen. Warum läuft die Heizung? Wo ist Sylvia?«
»Nicht da.«
»Was soll das heißen, ›nicht da‹?«
»Die Frau ist nicht da. Die Frau ist weg. Sie ist vor ’ner Woche gegangen, aber du hast seit ’ner Woche nicht angerufen – ist also noch neu für dich. Aber nicht mehr neu für mich. Sie ist schon ewig weg. This means freedom, this means lib-er-ty! « Das Letzte eine Zeile aus dem Song, der zufällig gerade lief. Lloyd machte ein paar beduselte Tanzschritte auf Felix zu.
»Sie schuldet mir noch vierzig Pfund«, sagte Felix.
»Guck’s dir an. Grau!« Lloyd fasste sich mit beiden Händen in den Haaransatz und zog: Ein kleines Büschel weißer Haare kam zum Vorschein. Die beiden Männer trennten nur siebzehn Jahre. »Grau bin ich geworden wegen der Frau. Drei Monate, und sie hat ’nen alten Mann aus mir gemacht.«
Sie hat deine Wohnung sauber gehalten. Bis mittags das Dope versteckt. Ein bisschen Geld ins Haus gebracht, sodass du nicht immer mich anpumpen musstest. Felix sah auf seine Hände.
»So ist das, Fee, so ist das eben: Wie willst du wen aufhalten, der gehen will? Wie willst du den aufhalten? Kannst du nicht. Ich sag dir was: Wenn du’s schon nicht schaffst, ’ne erwachsene Frau mit vier Kindern aufzuhalten, schaffst du’s erst recht nicht bei ’ner dummen Göre wie Sylvia, die gar nichts hat. Nie-man-den.« Er sprach so überdeutlich, dass er die Zähne bleckte und einen Moment lang aussah wie ein Hund. »Jeder muss seinen eigenen Weg gehen, Felix! Wen man liebt, den lässt man frei! Aber im Ernst, geh nie mit ’ner Spanierin, das ist ein ernst gemeinter Rat. Die haben alle ’nen Knall. Ich schwör’s! Deren Hirn tickt nicht normal.« Von oben landete etwas feucht auf Felix’ Schulter. Die dauerhafte Heizungshitze, der Kochdunst und die fehlende Belüftung ließen große Schimmelblumen an der Decke sprießen. Hin und wieder fielen Schnipsel herab wie Blütenblätter. »Ich sag dir was, ich bin ohne deine Mutter zurechtgekommen. Ich komm auch jetzt zurecht. Mach keinen Stress, Mann – ich komm klar. Bin schließlich immer klargekommen.«
»Was ist mit der Lampe passiert?«
»Ich bin aufgewacht, und sie hat die ganze Bude ausgeräumt. Ehrlich wahr, Felix, ich hätt die Bullen rufen sollen. Wahrscheinlich ist sie längst wieder in ihrem scheiß Madrid. Den DVD -Player. Die Badematte. Den Toaster. Glaub mir, wenn’s nicht angeschraubt war – dann hat sie’s mitgenommen. Den Wagen hat sie auch genommen. Wie soll ich ohne den Wagen denn was verkaufen? Sag mir das.«
»Sie schuldet mir vierzig Pfund«, wiederholte Felix, obwohl das völlig sinnlos war. Lloyd tätschelte seinem Sohn mit beiden Händen liebevoll die Wangen. Felix hielt den Umschlag mit dem Buch hoch.
»Was kommt deine hübsche Frau eigentlich nicht selber und schaut es sich an?« Lloyd nahm seinem Sohn das Päckchen ab. »Ich will doch sie beeindrucken, nicht dich. Darum ging’s doch, oder? Das war der ganze Sinn der Übung! Sie will ’nen echten Garvey-House-Mann kennenlernen. Du bist nur da geboren. Aber ich, bruv, ich hab’s durchlebt. Hey, ich mach doch nur Spaß. Ich geh noch schnell pinkeln. Irgendwo gibt’s Ingwertee.«
Im Wohnraum versuchte Felix den Umschlag aufzureißen: Eine Wolke grauer Staubflocken wirbelte auf den Teppich. Oben auf dem Fernseher standen seine Geschwister in kleinen, angelaufenen, herzförmigen Bilderrahmen und sahen zu, wie blöd er sich anstellte. Devon mit etwa sechs, im Schnee vor Garvey House, und Ruby und Tia, die Zwillinge, in neuerer Zeit, jede auf einer Betonstufe im Treppenhaus irgendwo hier in Caldwell. In welche Richtung er auch riss, der Dreck wurde nur noch schlimmer. Er holte tief Luft und pustete, um den glänzend schwarzen Einband zu säubern. Neunundzwanzig Pfund! Für ein Buch! Und wann bekam er das zurück? Nie. Fester
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