Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
London NW: Roman (German Edition)

London NW: Roman (German Edition)

Titel: London NW: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zadie Smith
Vom Netzwerk:
mehr, was.« Felix stellte fest, dass er es gar nicht mochte, so geknufft zu werden, zu fest und dann auch noch gegen die Schulter, trotzdem lächelte er schmallippig und schwindelte: »Klar kenn ich dich, bruv. Echt lange her.« Damit war der Junge schon zufrieden. Er knuffte Felix noch einmal. »Schön, dich zu sehen, Mann! Wo geht’s hin?« Felix rieb sich die Augen. »Familiensachen. Ich besuch meinen Alten. Was sein muss, muss sein.« Der junge Mann lachte: »Lloyd! Kam sich immer seine Rizlas bei uns holen. Hab ihn ewig nicht gesehen.« Ja ja, der gute, alte Lloyd. Ja, immer noch gut drauf, der alte Lloyd, immer noch in der alten Siedlung, Caldwell, klar, hat sich nie wegbewegt. Und immer noch der alte Rasta, klar. Immer noch denselben Stand in Camden. Wo er immer noch denselben Krimskrams verkauft. Alles beim Alten. Felix lachte, so wie es an der Stelle von ihm erwartet wurde. Gemeinsam sahen sie zu den Caldwell-Türmen hinüber, keine fünfhundert Meter weit weg. »Da ist der Apfel ja echt nicht weit vom Stamm gefallen, bruv. « Mit diesem Schlüsselsatz kam zumindest ein Nachname: Khan. Von Khans Minimarkt in Willesden. Die ganze Familie sah gleich aus, jede Menge Brüder, die den Laden für ihren Vater am Laufen hielten. Das hier musste der Jüngste sein. Auch Caldwell-Kinder seinerzeit, zwei Stockwerke unter den Coopers. Er konnte sich nicht erinnern, viel mit ihnen zu tun gehabt zu haben. Felix war zu spät nach Caldwell gekommen, um noch Freundschaften zu schließen. Dafür musste man alteingesessen sein. »War ’ne gute Zeit«, meinte der Khan-Junge. Aus Höflichkeit stimmte Felix ihm zu. »Und du wohnst jetzt wieder hier?« »Meine Freundin wohnt gleich da drüben.« Er deutete mit dem Kinn auf das Supermarktschild. »Mann, Felix, ist ja voll dein Quartier hier. Ich weiß noch, wie du da gearbeitet hast. Hab dich immer an der Kasse sitzen sehen, damals, als ich so ...« »Tja, na ja, da bin ich nicht mehr.« Über den Kopf des Jungen hinweg blickte Felix angestrengt zu dem verlassenen Basketballfeld auf der anderen Straßenseite, wo nie Basketball gespielt worden war und auch nie Basketball gespielt werden würde. »Ich bin ja jetzt in Hendon«, sagte der Junge, leicht verlegen, als dürfte man von so viel Glück gar nicht erzählen. »Ziemlich klasse. Hab geheiratet. Nettes, gläubiges Mädchen. Nachwuchs ist auch unterwegs, Inschallah!« Er präsentierte Felix einen glänzenden Ringfinger zur Ansicht. »Das Leben ist gut zu mir, Mann. Echt gut.« Jedem sein eigener kleiner Sieg. »Hey, Felix, gehst du zum Karneval?« »Ja. Wahrscheinlich aber nur Montag. Bin halt nicht mehr der Jüngste, Mann.« »Dann sieht man sich ja vielleicht.« Felix lächelte brav. Und wies mit seinem Umschlag Richtung Caldwell.
     
    KEINE KLINGEL.
    KLINGEL KAPUTT , das hatte er schon zigmal gelesen, manchmal auch KEIN ZUTRITT. Aber KEINE KLINGEL zeugte von einem ganz neuen Level der Resigniertheit. Felix drückte die Ecke des Post-its wieder an, die sich gelöst hatte. Eine Zeit lang klopfte er ergebnislos: Der Reggae drinnen war so laut, dass der Briefkasten in den Angeln bebte. Er ging zum Küchenfenster und drückte den Mund an den zehn Zentimeter breiten Spalt. Lloyd kam in Sicht, barfuß und barbrüstig, träge an einer Scheibe Toast kauend. Die Dreadlocks hatte er zum Knoten gedreht und einen Kochlöffel durchgesteckt wie die lange Haarnadel einer Geisha.
    »Lloyd – ich klopf mir hier ’nen Wolf. Lass mich rein, dred. «
    Hinter einem toten Kaktus auf dem Fensterbrett zog Lloyd einen einzelnen Schlüssel hervor, der an einem ehemals weißen Schnürsenkel hing, und reichte ihn seinem Sohn heraus.
    »Ist ja die reinste Sauna hier!« Felix ließ die Jacke auf den Boden fallen und streifte seine Turnschuhe ab. Im schmalen Flur achtete er darauf, dem ersten von etlichen gusseisernen Heizkörpern auszuweichen, die einem schon bei der kleinsten Berührung Brandwunden zufügten. Seine Füße versanken im Teppich, einem dichten, purpurroten Synthetikpelz, seit zwanzig Jahren derselbe.
    »Pass auf, ich kann nicht lang bleiben. Muss um zwölf in der Stadt sein. Wollt dir nur kurz was zeigen.«
    Felix zwängte sich zu seinem Vater in die schmale Küche. Selbst dieser Raum war ein einziges Chaos aus afrikanischen Masken und Trommeln und jeder Menge anderem Stammesfirlefanz. Das Zeug stapelte sich, bei jedem Besuch mehr. Auf der Gasplatte stand ein großer Topf, über dessen Rand es gelblich blubberte. Felix sah zu, wie Lloyd

Weitere Kostenlose Bücher