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London NW: Roman (German Edition)

London NW: Roman (German Edition)

Titel: London NW: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zadie Smith
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Er überlegte, seinen Vater zu fragen, wann er das letzte Mal mit Devon gesprochen habe, entschloss sich dann aber, stattdessen dem Selbsterhaltungstrieb zu folgen. »Lloyd, ich muss los.« »Bist doch grade erst gekommen!« »Weiß ich – ich muss aber trotzdem los. Hab noch was zu erledigen.« Felix schlug mit der flachen Hand an den Türrahmen in der Hoffnung, möglichst gut gelaunt und entschlossen zu wirken. »Für wen?«, fragte Lloyd unbeeindruckt, ohne aufzusehen. »Für dich oder für sie?« Es war dieser ganz spezielle Tonfall, hell und fragend – und plötzlich sehr jamaikanisch –, der sich um Felix wand wie eine aus ihrem Korb kriechende Schlange. Er wollte ihn weglachen – »Ach, komm, Mann, fang jetzt nicht damit an« –, doch Lloyd wusste genau, wie er sein Gift am besten verspritzte. »Ich will dir doch nur ’n paar Tipps geben. Ist ja nicht so, dass du mich nicht hörst, Felix, du willst nur einfach nicht auf mich hören. Weil du jetzt der große Macher bist. Aber eins frag ich dich: Wozu rennst du immer noch den Weibern nach, als wenn sie dir das Leben retten könnten? Im Ernst. Wozu? Schau dir Jasmine an. Du lernst es einfach nicht. Der Mann kann die Frau nicht zufriedenstellen, klar? Egal, wie viel er ihr gibt. Die Frau, die ist ’n schwarzes Loch. Ich hab mich schwer mit der Literatur befasst, Felix. Biologisch, sozial, historisch, jede Sorte Orakel. Die Frau, die ist ’n schwarzes Loch. Deine Mutter war ’n schwarzes Loch. Jasmine war ’n schwarzes Loch. Und die, die du jetzt hast, ist genauso, und sie sieht auch noch gut aus, darum wird sie dich mit Haut und Haar schlucken, bis du merkst, dass sie dich ausgesaugt hat. Je schöner sie sind, desto schlimmer.« Lloyd nahm einen langen, genussvoll schlürfenden Schluck von seinem Tee. »Red nicht so ’n Quatsch«, erwiderte Felix matt und schaffte es gerade eben so aus dem Zimmer.
    Während er in der Diele die Füße wieder in seine Nikes zwängte, hörte Felix, wie Lloyd drinnen mit der Hand auf eine Buchseite schlug. »Felix: komm her!« Er ging zurück und sah, wie sein Vater den Buchrücken nach hinten bog, die Falz zwischen zwei Seiten glatt strich. »Da ganz im Eck: mit dem Blumenkleid – ich erinner mich genau an die Blumen, die waren lila. Hundertzwanzigprozentig! Im Ernst. Warum glaubst du mir eigentlich nie was? Das ist Jackie. Ich sag dir was, als sie mit den Mädchen schwanger war, da hat sie flache Schuhe getragen. Die ganze Zeit. Aber sie trug nur flache Schuhe, wenn sie musste, klar? Viel zu eitel.« Zufrieden mit dieser Schlussfolgerung griff Lloyd nach seinem Joint. Felix setzte sich auf die Sofalehne und betrachtete den mutmaßlichen Ellbogen und linken Fuß seiner Mutter. Irgendwo in ihm erwachte ein Muskel hoffnungsvoll zum Leben, war aber viel zu geschwächt von früherer Überanstrengung. Er lehnte sich an die Wand. Lloyd hob das Buch, um es Felix noch dichter unter die Nase zu halten. Das reinste Treibhaus hier drinnen, nicht auszuhalten. Sogar die Wände schwitzten! Lloyd schlug erneut auf die Seite. »Das. Ist. Jackie. Hundertzwanzigprozentig.« »Ich muss los«, sagte Felix, gab Lloyd einen flüchtigen Kuss auf die Wange und floh.
    Draußen war es vergleichsweise kühl; er wischte sich über das Gesicht und konzentrierte sich darauf, wieder zu atmen wie ein normaler Mensch. Als er die Tür zuzog, schloss sich auch die der Wohnung nebenan. Phil Barnes. Inzwischen wohl sechzig? Er versuchte, den schweren Blumentopf anzuheben, der vor seiner Wohnungstür stand. Er sah zu Felix herüber, der grinste und sich die Kappe aus dem Gesicht schob.
    »Alles klar, Felix?«
    »Alles bestens, Mr Barnes.«
    »Auf den Knien habe ich ihn geschaukelt, und jetzt sagt er Mr Barnes zu mir.«
    »Alles bestens, Barnesy.«
    »Schon besser. Herrje, ist das Ding schwer. Steh da nicht herum wie so ein ›junger Schwarzer‹, Felix. Wie so ein nichtsnutziger JUNGER SCHWARZER . Hilf mir lieber mal.« Felix hob den Topf an. »So wird ein Schuh draus.«
    Felix sah zu, wie Phil Barnes den Außenbalkon entlangschaute wie ein Geheimagent, erst nach rechts, dann nach links; dann warf er einen Schlüssel auf den Boden und schob ihn mit dem Fuß unter den Blumentopf.
    »Furchtbar, nicht? Da sorge ich mich um mein Eigentum wie eine alte Frau. Als wäre ich KRÖSUS . Und als Nächstes sage ich dann Dinge wie: ›Man kann gar nicht vorsichtig genug sein!‹ Wenn es so weit ist, dann musst du mich notschlachten, abgemacht, Felix? Jag mir einfach eine

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