London Road - Geheime Leidenschaft
nickte.
Erneut versanken wir in Schweigen, doch dieses Schweigen war so voller unausgesprochener Worte, so voller Emotionen, dass die Luft um uns herum wie aufgeladen war. Als mir klarwurde, was das bedeutete, zog sich mein Herz zusammen. Um nicht das zu sagen, wozu es noch zu früh war, stellte ich dummerweise eine Frage, deren Antwort ich gar nicht hören wollte. »Warst du jemals richtig verliebt?«
Als Cam daraufhin einen tiefen Seufzer ausstieß, hatte ich alle Mühe, ruhig zu bleiben, und als ich sein leises »Ja« hörte, wurde mir fast schlecht.
Der Schmerz, den ich plötzlich in der Brust spürte und das gellende »Nein!!!« meines Verstands – all das war vollkommen albern, aber ich konnte mir einfach nicht helfen. Cam war schon einmal verliebt gewesen!
Als ich mir sicher war, dass ich wieder mit einigermaßen ruhiger Stimme sprechen konnte, holte ich tief Luft und fragte: »Wann? In wen?«
»Willst du das wirklich wissen?« Sein Tonfall war abweisend.
»Wenn du es mir erzählen willst, ja.«
»Also gut«, meinte er sanft, während seine Hand über meinen Arm strich. »Das ist schon lange her. Vor zehn Jahren, da war ich achtzehn. Sie hieß Blair, und wir haben uns im ersten Semester an der Uni kennengelernt.«
Blair.
Und er hatte sie geliebt.
Ich stellte mir eine große, dunkelhaarige Schönheit vor, mit klugen Augen, selbstbewusst und lässig, so wie Joss. Rasch verdrängte ich das Bild. »Was ist passiert?«
»Wir waren dreieinhalb Jahre zusammen. Ich habe fest damit gerechnet, dass wir uns irgendwann verloben, ein Haus kaufen, heiraten, ein paar Kinder in die Welt setzen … Ich dachte, sie wäre die Frau meines Lebens.«
War das etwa ein Messer, das sich bei diesen Worten schmerzhaft in meiner Seite umdrehte? Ich hielt ganz still im Bemühen, die nagende Eifersucht und den Schmerz zu verbergen, die sein Geständnis in mir geweckt hatte.
»Aber dann hat Blair einen Platz an einer Uni in Frankreich bekommen, um ihren Master in Romanistik zu machen. Also habe ich die Sache beendet. Ich habe mit ihr Schluss gemacht, bevor sie mit mir Schluss machen konnte, weil ich wusste, dass sie sich in jedem Fall für Frankreich entscheidet, und sie wiederum wusste, dass ich Schottland nicht verlassen würde. Ich wollte nicht von meinen Eltern weg und auch nicht von Nate und Peetie. Sie hätte so oder so einen Schlussstrich gezogen, ich habe es ihr bloß leichter gemacht.«
In diesem Geständnis schwang so viel Unausgesprochenes mit, dass es mir vor Angst die Kehle zuschnürte. Ich sagte kein Wort, sondern verschränkte einfach nur meine Finger mit seinen und wartete darauf, dass der Schmerz nachließ.
Das passierte aber nicht.
Wenig später duschten wir zusammen, und dann musste Cam los zu seiner Schicht in den Club. In einem Nebel aus tiefster Niedergeschlagenheit stapfte ich hinauf in unsere Wohnung. Ich hatte versucht, mich an den Haaren aus dem Sumpf meiner schlechten Laune zu ziehen, hatte gelächelt und ihn geküsst und mir gesagt, dass er mir nicht ein einziges Mal Anlass zu der Vermutung gegeben hatte, er würde nicht dasselbe für mich empfinden wie ich für ihn.
Als ich unsere Wohnung betrat, war es mir schon fast gelungen, mich zu überzeugen, doch dann sah ich mich auf einmal Mum gegenüber, die barfuß und schwankend im Flur stand. Das Nachthemd schlackerte ihr wie ein zu großer Sack um den knochigen Leib. Ihr trüber Blick und die unsicheren Bewegungen verrieten mir, dass sie sich beim Trinken nicht zurückgehalten hatte. Heute wollte sie sich offenbar richtig gründlich die Lichter ausschießen.
»Wowasu?«
Ich hatte keine Lust, mit ihr zu reden, also fertigte ich sie mit einem knappen »Bei Cam« ab und schob mich an ihr vorbei, um in meinem Zimmer zu verschwinden.
»Woisserjes?«
In der Annahme, sie habe mich gefragt, wo er jetzt sei, schaute ich über die Schulter zurück und antwortete: »Auf der Arbeit.«
»In ’ner Bar«, schnaubte sie verächtlich. »Versager.«
Da ich in derselben Bar arbeitete, versuchte ich ihre Bemerkung nicht persönlich zu nehmen. »Eigentlich ist er Graphikdesigner.«
»Ha. Künstler, oder was?« Sie lachte meckernd und schlurfte in Richtung Küche davon. »Was will der denn da von einer wie dir?«
Ich blieb stocksteif stehen.
»Der hat bald die Schnauze voll von dir, Mädel. Hasnich genug Grips für so ’nen Kerl.«
Ich floh zurück durch den Flur und schloss mich im Badezimmer ein. Meine Selbstzweifel nagten und nagten an mir. Sie klangen
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