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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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und das werde ich in meinem Testament festhalten: Auf deinem Todesbett sollst du nach mir oder meinem Erben rufen lassen. Wenn du dann bei Gott und vor einem Priester schwörst, daß du von heute an bis an dein Ende niemals deine Gelübde gebrochen hast, dann werde ich Bocton an St. Bartholomew's vermachen.« Damit drehte er sich um und stapfte Richtung Stadttor davon.
    Im Herbst 1170 begannen Neuigkeiten über ein unerwartetes Ereignis nach England durchzusickern. König Heinrich II. von England war in die Normandie geeilt, wo er den exilierten Erzbischof von Canterbury getroffen hatte. Dort hatte sich Becket schließlich wieder mit seinem König versöhnt; vielleicht war die Demütigung, daß der Erbe von England ohne ihn gekrönt worden war, der Auslöser dafür. Und dann tauchten Gerüchte auf, daß Becket zurückkehren wollte. Aber er kam nicht.
    Für die Familie Silversleeves war es eine unangenehme Zeit. Pentecost wagte es nicht, sich zu Michaeli am Exchequer blicken zu lassen. Was bedeutete diese neue Wendung der Ereignisse? Hatte der König eingewilligt, die kriminellen Kleriker nicht verfolgen zu lassen, oder wollte Becket sie nun dem König übergeben? Die Silversleeves versuchten, aus der Normandie Informationen zu erhalten, aber niemand wußte Genaueres. Der Oktober verstrich; der November verstrich. Schließlich kamen Anfang Dezember die Neuigkeiten aus Kent: »Er ist da!«
    Er kam nicht wie ein Lamm. Vielleicht hatte er ja mit dem König Frieden geschlossen, nicht jedoch mit den Bischöfen, die ihn beleidigt hatten, indem sie in seiner Abwesenheit den Prinz krönten. Er exkommunizierte den Bischof von Sarum und Gilbert Foliot, den Bischof von London. In der englischen Kirche rumorte es. Foliot und seine Anhänger schickten Botschafter über das Meer in die Normandie, um König Heinrich wissen zu lassen, was in seinem Königreich ablief. Einer dieser Boten war auch von der Familie Silversleeves bezahlt worden, um sie auf dem laufenden zu halten.
    Am frühen Nachmittag des 30. Dezember 1170 gab sich Pentecost Silversleeves einer sehr merkwürdigen Beschäftigung hin. Er trug mehrere Schichten von Kleidung, um sich warm zu halten, und hatte gewachste, geschliffene Kuhbeinknochen mit Lederriemen an seinen Schuhen befestigt. Mit Hilfe eines Stockes bewegte er sich vorwärts. Er lief Schlittschuh.
    Londons Eislauffläche lag unmittelbar außerhalb des Zentrums an der nördlichen Stadtmauer. Achthundert Jahre, nachdem die Römer den Ort verlassen hatten, waren die alten Wasserläufe des Walbrook unter der Mauer noch immer mit Müll verstopft, so daß die noch nicht trockengelegten Gebiete sumpfig waren. Moorfields hießen sie. Im Sommer war es ein Morast, der im rauhen Winter zufror, und die Londoner vergnügten sich dann auf dieser wilden, weiten Eisfläche – ein fröhlicher Anblick, auch wenn Pentecost nicht besonders fröhlich war; denn der Bote hatte eine sehr schlechte Nachricht aus der Normandie gebracht. »Der König wird Becket verhaften lassen. Foliot hat gewonnen«, hatte ihm sein Vater an diesem Morgen mitgeteilt. »Das ist schlecht für dich.«
    »Vielleicht hat mich der König inzwischen vergessen.«
    »Nein. Er spricht noch immer von dir. Du wirst schwören müssen, das Land auf immer zu verlassen.«
    Das Königreich verlassen. Nur so konnte ein Verbrecher der Gerechtigkeit entkommen. Aber wohin sollte er gehen? Nirgendwohin in Heinrichs ausgedehnten Einflußbereich. »Du könntest ja auf eine Pilgerreise ins Heilige Land ziehen«, hatte seine Mutter vorgeschlagen. Aber dieser Vorschlag behagte Pentecost überhaupt nicht.
    Trübsinnig drehte er seine Runden auf dem Eis. Die Sonne ging eben unter, da kam ein Bursche aus der Stadt herbeigerannt und tat laut seine Botschaft kund, die innerhalb eines Monats in ganz Europa mit großer Überraschung aufgenommen werden sollte: »Becket ist tot. Männer des Königs haben ihn ermordet.«
    Die Ermordung des Erzbischofs Thomas Becket fand vor dem Altar der Kathedrale von Canterbury während des Abendgottesdienstes am 29. Dezember 1170 statt. Vier junge Barone, die zu der Gruppe gehörten, die Becket verhaften sollte, stellten den Erzbischof persönlich zur Rede und töteten ihn im Verlauf der sich daran anschließenden Verwirrung. Da sie einmal mitbekommen hatten, wie der König Becket bei einem seiner Wutanfälle verfluchte, dachten sie, es würde ihn erfreuen.
    Als die erschrockenen Mönche begannen, den toten Körper des Erzbischofs zu entkleiden,

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