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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Bartholomew's gehörte. Eine Spende war nicht erforderlich.
    Hier war sie glücklich. Die Krankenpflege gefiel ihr. Sie kannte sämtliche Kräuterheilmittel, die im Krankenhaus gebräuchlich waren, und in ihrer Kammer hatte sie einen wahrhaften Schatz von Gläsern, Topfen und Schachteln. »Löwenzahn zur Reinigung des Blutes«, konnte sie erklären; »Kresse gegen Kahlheit, Wolfsmilch gegen Fieber, Seerosen gegen Durchfall.« Schwerstkranken half sie auf ihrem Weg quer durch London, damit sie eine heilige Reliquie berühren konnten, wenn es denn keine andere Hoffnung auf Heilung gab.
    Und dann kam Bruder Michael. Von dem Moment an, als sie ihn Anfang Juni erblickte, war sie sich sicher, daß er ein Heiliger war. Warum sonst sollte der Sohn eines reichen Kaufmanns die Westminsterabtei verlassen und ins Krankenhaus gehen? Erst im Lauf der Zeit merkte sie, daß nicht alle ihre Meinung über ihn teilten. Manche, wie etwa sein böser Bruder, hielten ihn sogar für einen Dummkopf, und dies ärgerte sie. Während sie ihn also nach wie vor verehrte, begann sie auch, ihn beschützen zu wollen.
    Bruder Michael blickte auf das Stadttor und winkte. »Da ist er ja!« bemerkte er, während Alderman Bull auf sie zukam.
    Bull hatte schlechte Laune. Er wäre nicht hergekommen, wenn ihn nicht die Mutter seit Wochen darum gebeten hätte. »Versöhne dich vor meinem Tod mit Michael.« Wenn er darauf nur verärgert erwiderte, daß sie ja keinesfalls im Sterben liege, sagte sie stets: »Das kann man nie wissen.« Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Warum stellte sich die Mutter immer auf Michaels Seite? Er persönlich hatte nie sehr viel von seinem jüngeren Bruder gehalten, und als dieser in das Kloster von Westminster eintrat, verachtete er ihn. Als er dann in diesem Juni das Kloster verließ, kannte sein Zorn keine Grenzen. »Unsere Spenden!« hatte er gedonnert. »Völlig umsonst!« Seitdem sprach er kein Wort mehr mit Michael.
    Der wahre Grund, warum seine Mutter ihn immer wieder gedrängt hatte, Michael zu besuchen, war Bocton. Trotz der Verzögerung durch den Reusenschaden hatte sein Schiff die Reise erfolgreich hinter sich gebracht. Verhandlungen mit Abraham waren erfolgt, und morgen sollte der Vertrag unterzeichnet werden. Und genau dies entsetzte seine fromme Mutter.
    Ein Kreuzritter war ein heiliger Pilger, bereit, in Gottes gerechtem Krieg als Märtyrer zu sterben. In den Augen der Kirche wusch ihn der Kreuzzug von seinen Sünden rein und garantierte ihm einen Platz im Paradies. Zwar kam es in diesem Jahrhundert häufig vor, daß der Besitz von bankrotten Kreuzrittern umverteilt wurde, doch viele hielten es für ein ernstes moralisches Vergehen und verlangten nach Gesetzen, um die Kreuzritter vor ihren Gläubigern zu schützen.
    »Siehst du denn nicht, daß es ein Verbrechen ist?« hatte seine Mutter protestiert. »Die Not eines Kreuzritters so auszunützen? Und noch dazu mit einem heidnischen Juden!«
    Als sie bei ihrem älteren Sohn keinen Erfolg gehabt hatte, war sie heimlich zu Michael gegangen.
    Es war lange her, daß Sampson Bull sich die Mühe gemacht hatte, St. Bartholomew's zu besuchen, und als Michael ihn nun herumführte, konnte er nicht umhin, seine Bewunderung über diesen Ort kundzutun. Die Priorei bestand aus einer großen normannischen Kirche, einem Kloster, einem Refektorium und reich ausgestatteten klösterlichen Nebengebäuden. Im August veranstaltete das Priorat zum Namenstag des heiligen Bartholomäus immer eine Tuchmesse in Smithfield, aus der ihr ein stattlicher Gewinn erwuchs. Die Mitglieder der Gemeinde, die Kanoniker, waren eine kleine, doch vornehme Gesellschaft, die mit allen Annehmlichkeiten lebte.
    Die Kirche selbst war sehr edel mit ihrem breiten, hohen Kirchenschiff, ihren massiven Säulen, den normannischen Bögen und den Tonnengewölben. Der etwas kleinere Chor war besonders hübsch mit seinem zweireihigen Schutz von Säulen und Bögen, die einen Halbkreis am östlichen Ende hinter dem Altar bildeten. Der Ort strahlte eine Mischung aus normannischer Stärke und orientalischer Wärme aus.
    Obwohl Bull sich um Verträglichkeit bemühte, ärgerte er sich über gewisse Dinge. Der Anblick der nackten Zehen seines Bruders und das leise Schlurfgeräusch, das seine Sandalen auf den Steinfliesen verursachten, störten ihn. Und warum starrte diese Barnikel-Frau mit ihrem sonderbar schrägen Auge ihn ständig so übelwollend an?
    Nachdem sie das Kloster besichtigt hatten, betraten sie das

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