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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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aufmerksam jedem gelauscht, den sie für weise hielt, und sich bemüht, die verwirrende Welt zu verstehen. Wenn sie schließlich damit zufrieden war, etwas verstanden zu haben, hielt sie eisern daran fest.
    Mit dreizehn entdeckte sie, daß ihr ewige Verdammnis drohte, und zwar einzig und allein deshalb, weil sie eine Frau war.
    Der Priester des Kirchensprengels hatte eine Predigt zum Thema Adam und Eva gehalten und die Gelegenheit genutzt, den weiblichen Gemeindemitgliedern eine strikte Warnung zukommen zu lassen. »Frauen, wenn ihre eure Seelen retten wollt, denkt an Eva. Denn es liegt in der Natur der Frau, der Frivolität und den Sünden des Fleisches zugeneigt zu sein. Frauen droht das Höllenfeuer ganz besonders.«
    Er war ein weißhaariger, alter Mann, und Mabel verehrte ihn sehr. Da die Predigt sie zutiefst beunruhigte, bat sie ihn, ihr zu erklären, warum denn Frauen eher sündigten.
    Der alte Mann lächelte freundlich. »Es liegt in ihrer Natur, mein Kind. Gott hat die Frau als die Schwächere geschaffen.« Dies war eine alte Annahme, die bis auf den Heiligen Paulus persönlich zurückging. »Gott hat den Mann nach seinem Ebenbild erschaffen, mein Kind. Aus dem Samen des Mannes entspringt das perfekte Ebenbild. Die Frau ist nur der Behälter, in dem der Samen reift, und deshalb minderwertiger. Sie kann zwar trotzdem in den Himmel kommen, doch es ist schwieriger für sie.«
    »Aber wenn es so ist, daß aus dem Samen des Mannes sein perfektes Ebenbild entsteht, wie kommt es dann, daß auch Frauen geboren werden? Und wenn ein Kind nur aus dem Samen des Mannes geboren wird, warum ähneln dann Kinder oft ihren Müttern und nicht nur den Vätern?« wollte Mabel wissen.
    »Gottes Vorhersehung ist in der Tat wundervoll. Mein Kind, du denkst ja wie ein Arzt! Deine Frage kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden, aber der große Philosoph Aristoteles war der Meinung, daß das Ungeborene, während es im Mutterleib heranwächst, von der Mutter Flüssigkeiten trinkt, die eine gewisse Auswirkung haben.« Der Priester lächelte, froh über diese Gelegenheit, seine Gelehrsamkeit unter Beweis stellen zu können.
    »So sagt mir nur noch eines, Vater«, bat Mabel demütig. »Da es für eine Frau so schwer ist, gerettet zu werden, was muß ich dann tun?«
    »Bete fromm! Gehorche deinem Mann! Manche Leute sagen, daß nur Jungfrauen problemlos in den Himmel kommen, aber dies ist ja nun kein Weg für alle Frauen.«
    Aufgrund dieses Gespräches verstand Mabel schließlich drei Dinge: Frauen waren minderwertig; sie hatte vielleicht die Gabe der Heilkunst, da sie wie ein Arzt dachte; Jungfräulichkeit war der wahrscheinlichste Pfad in den Himmel.
    Als sie einige Jahre nach dieser Unterhaltung merkte, daß sie wenig Chancen hatte, einen Ehemann zu finden, ließ ihr ernstes Wesen in ihr den Wunsch aufkeimen, in das religiöse Leben einzutreten. Das Problem jedoch war, daß ihre Leute nur einfache Fischhändler waren.
    Nach ihren ruhmreichen Wikingerzeiten war es mit den Barnikels stetig bergab gegangen. Durch die Eroberung hatten die alten dänischen Familien in London ihre Besitzungen verloren und waren von hereinströmenden Kaufleuten aus der Normandie und dem wachsenden Netz der germanischen Hanse-Häfen immer weiter verdrängt worden. Der gegenwärtige Barnikel von Billingsgate war ein Fischhändler, der neben seinem Fischstand auf der Straße auch mit anderen Gütern für die Schifferei handelte. Er war ein geachteter Mann, doch sein Status lag weit unterhalb eines Großhändlers wie etwa Bull oder Silversleeves.
    Aber warum sollte dies ein Problem sein? Es gab damals in England etwa zehn Prozent mehr Frauen als Männer. In Mabels Generation hatte sich dieser Unterschied weiter verstärkt, weil immer mehr Männer in den heiligen Stand eintraten und zumindest theoretisch ein keusches Leben führten. Für Frauen dagegen gab es nur wenige große Nonnenklöster, und es war teuer, in eines einzutreten; sie waren adligen Familien und den reichsten Kaufleuten vorbehalten. Bei den einfachen Kaufleuten und Handwerkern wurden die übriggebliebenen Frauen zur Mithilfe im Haushalt und im Betrieb der Männer gebraucht.
    Mabel war also zu niedrig geboren, um Gott zu dienen. Aber sie war hartnäckig. Sie erfuhr von einem Nonnenkloster, das Laienschwestern für niedrige Dienste aufnahm. Einige der Kreuzzugorden hatten sogar Krankenschwestern. Schließlich fand man einen Platz für sie in dem Krankenhaus, das zu der reichen Priorei St.

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