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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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konnte ihm niemand helfen.
    Silversleeves hatte sich ans Werk gemacht. Er mochte zwar dürr, gebeugt und eine Zielscheibe öffentlichen Spottes sein, aber jetzt, voll und ganz in seinem Element, wuchs er schier über sich hinaus. »Die Anklage ist ganz einfach«, erklärte er. »Hier vor dem Bürgermeister und den Aldermen steht Adam Ducket, Fischhändler und angeblicher Bürger Londons. Meine Pflicht an diesem Tag ist es, Euch zu erklären, daß ich herausgefunden habe, daß er ein Betrüger ist. Er ist zwar Adam Ducket, aber ein Bürger dieser noblen Kommune ist er nicht. Adam Ducket ist kein Freier, er ist ein Leibeigener.«
    Die Großen Londons seufzten gelangweilt. »Gebt uns einen Beweis!« sagten sie.
    Eine solche Beschuldigung, der Vorwurf der Leibeigenschaft, war keineswegs ungewöhnlich und wurde seit vielen Generationen immer wieder vor den Londoner Gerichten erhoben. Zwar konnte ein Leibeigener theoretisch davonlaufen und in einer Stadt leben, und wenn er es unbehelligt ein Jahr und einen Tag lang schaffte, dann war er frei. Doch solche Flüchtigen wurden meist als Vagabunden behandelt, wenn sie kein Geld hatten. Die Freien in London hatten ihre Verwandten, die sie einstellten, und ihre Gilden, die geschützt werden mußten. Sie waren eine stolze Gemeinschaft. Und wenn die Freien von London etwas nicht ausstehen konnten, dann war es die Anwesenheit von Leibeigenen unter ihren Bürgern. »Wir sind Barone«, hieß es, »keine entlaufenen Leibeigenen.« So war es kaum denkbar, daß ein Leibeigener es schaffte, sich als Bürger zu verkleiden.
    Nun brachte Silversleeves Adams Vettern herein, die er von Windsor herbeizitiert hatte, und dann auch noch den Verwalter des dortigen Anwesens. Alle schworen, daß Adam die Äcker, die sein Vater und vor ihm seine Vorfahren besessen hatten, zwar besaß, aber nicht mit Geldleistungen, sondern mit Diensten dafür bezahlte. Und in gewisser Weise hatten sie recht. Denn in all den Jahren hatten Adams Mutter und später auch er selbst sich nie die Mühe gemacht, sich darum zu kümmern, und seine Vettern hatten den Pachtzins für Adams Land mit Arbeit beglichen und dafür die bescheidenen Erträge für sich behalten. Seit zwölf Jahren wußte der Verwalter, daß Adams Land mit Diensten entgolten wurde, die seine Vettern für ihn übernahmen. Also war Adam, obwohl er in London lebte, was diese Angelegenheit betraf, ein Leibeigener.
    »Ich wußte, daß ich Vettern habe, die Leibeigene sind, aber wir waren immer frei«, protestierte der junge Mann. Doch nun zog Silversleeves seinen Trumpf aus dem Ärmel. »Ich habe das große Domesday Book von König Wilhelm befragt«, informierte er das Gericht. »Und dort taucht nichts auf von freien Besitzungen. Die Mitglieder dieser Familie waren immer Leibeigene.« Die Tatsache, daß vor eineinhalb Jahrhunderten ein normannischer Beamter einen der wenigen Fehler in dieser großen Erhebung verursacht hatte, indem er vergessen hatte, Duckets Vorfahren als Freie zu registrieren, war etwas, das Silversleeves nicht wußte.
    Der Bürgermeister schwieg, die Aldermen wirkten ernst. Da ergriff Sampson Bull das Wort. »Irgend etwas stimmt hier nicht«, sagte er grimmig. »Der Mann dieses Vaters war Simon der Waffenschmied, ein geachteter Bürger, mit dem Silversleeves eine Auseinandersetzung hatte, wenn ich mich recht erinnere. Wenn Ducket Simons Sohn ist, dann ist er ein rechtmäßiger Bürger.«
    »Wenn Simon ein Bürger war«, meinte Silversleeves, »dann hätte er dies wahrscheinlich nicht sein dürfen. Aber das spielt keine Rolle, denn Adam Ducket besitzt in eben diesem Moment Land, für das er Dienste leistet. Er ist in diesem Moment ein Leibeigener. Oder sollen wir etwa die uralten Gesetze Londons ändern und aus diesem Leibeigenen einen Bürger machen?«
    Dagegen kam nicht einmal Bull an. Ducket war ein Leibeigener, das stand außer Frage.
    »Es tut mir leid, Adam Ducket«, sagte der Bürgermeister. »Das ist eine schlimme Sache, und Ihr seid wahrscheinlich nicht einmal schuld daran, aber wir können keine Leibeigene als Bürger dulden. Ihr müßt uns verlassen.«
    »Und was ist mit meinem Handwerk? Ich bin Fischhändler!«
    »Ich fürchte, das müßt Ihr unterlassen«, erwiderte der Bürgermeister, »da Ihr ja kein Bürger seid.«
    Hilflos wandte sich Adam an Barnikel und Mabel. »Was soll ich nur tun?« fragte er sie.
    »Wir werden dir schon helfen«, versprach Barnikel.
    »Und was ist mit Lucy?«
    Nun sprach Mabel als echte Londonerin, auch

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